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Dieser eine Moment (German Edition)

Dieser eine Moment (German Edition)

Titel: Dieser eine Moment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Wortberg
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Wie er befürchtet hat.
    »Wo steckst du?«, fragt sie. »Wir warten seit einer halben Stunde auf dich.«
    »Dario hat mich nach der Arbeit noch auf ein Bier eingeladen.«
    »Der Dario aus deinem Betrieb?«
    »Ja.«
    »Der auf der Party mit meiner Schwester ...?«
    »Ja.«
    »Ich denke, du kannst ihn nicht leiden.«
    »Weiß auch nicht«, sagt er, »ich komme, so schnell ich kann.«
    Er legt auf.
    »Ich muss los«, sagt er zu Catrin.
    »Darf ich dich was fragen?«
    »Was denn?«
    »War das gerade deine Freundin?«
    »Ja«, sagt er.
    »Liebst du sie?«
    »Sicher«, sagt er verunsichert, »ich glaub schon.«
    »Warum lügst du sie dann an?«
    Statt einer Antwort fragt er: »Ist es noch weit?«
    »Nur ein paar Meter«, sagt sie.
    Dämonen, die in ihm wüten. Sie reißen an ihm, sie zerren ihn mit sich in einen Abgrund, dessen Boden er nicht sehen kann.
    »Das ist alles nicht so einfach«, sagt er.
    »Brauchst dich nicht zu rechtfertigen.«
    »Ich muss jetzt wirklich.«
    »War schön, dich getroffen zu haben«, sagt sie.
    »Finde ich auch«, sagt er.
    »Warte«, sagt sie und tritt ganz nah an ihn heran. Sie legt eine Hand auf seine Brust, lässt sie nach oben gleiten, fährt über den Kragen seiner Jacke an seinem Hals entlang bis zum Ohr. Dann hebt sie die andere Hand hoch, das Handgelenk in der Schlaufe des Blindenstocks. Er schwingt hin und her. Wie das Pendel einer Standuhr.
    »Was machst du da?«
    »Ich will wissen, wie du aussiehst«, sagt sie.
    Mit beiden Händen tastet sie sein Gesicht ab, ihre Finger berühren ihn kaum. Er ist so verblüfft, dass er sie nicht daran hindert. Und nicht das Auto bemerkt, das in diesem Moment an ihnen vorbeifährt.
    »Und?«, fragt er.
    Sie lässt ihre Hände sinken. »Genau wie ich mir gedacht habe«, sagt sie leise, »knochig und dünn.«

12
    Schlittschuhläufer, die bedächtig ihre Runden drehen, ein gleichförmig dahintreibender Fluss auf eisigem Grund. Jungen in Eishockeyschlittschuhen, die mit erhitzten Gesichtern durch die Läufer kurven wie ausbrechende Schwarmfische, vorwärts, rückwärts, sich gegenseitig hinterherjagend, die Jacken trotz der Kälte halb geöffnet. Irrlichter im Strom.
    Es dauert einen Moment, ehe er Laura entdeckt. Sie steht wartend an der Bande, den Blick ins Nichts gerichtet. Die Eisbahn vor ihr glänzt im Schein der Flutlichter. Dahinter die Häuserfassaden des Rathausmarktes, das Schimmern der Leuchtreklamen.
    »Hallo«, sagt er außer Atem, die geliehenen Schlittschuhe in der Hand. Kalte Luft, die seine Lungen brennen lässt. Er ist den ganzen Weg gelaufen.
    Sie antwortet nicht. Als er sie küssen will, wendet sie sich ab.
    »Tut mir leid«, sagt er.
    »Ich verstehe dich einfach nicht«, sagt sie. Ihre Worte ein Rauch, der sich auflöst in der kalten Luft.
    Ihre beste Freundin kommt herangefahren, Imken, die sie Inkie nennt. In ihrer weißen Daunenjacke wirkt sie wie ein Michelin-Männchen. An ihrer Seite ein Kerl wie ein Schrank.
    »Mann, ist das geil«, sagt er und lässt seinen Körper gegen die Bande krachen.
    »Das ist Lars«, sagt Inkie.
    »Alles klar?«, fragt Lars und haut Jan auf den Rücken. Blonde, kurz geschorene Haare, ein Lachen wie aus der Zahnpastawerbung. Er spielt Handball in der Regionalliga, er ist Kreisläufer. Sein Team steht seit Wochen an der Tabellenspitze.
    »Wenn es weiter so läuft, steigen wir auf«, sagt er. »Und mal ehrlich, warum sollte es nicht so weiterlaufen?«
    »Jan spielt auch Handball«, sagt Laura.
    »Ach ja«, sagt Lars und mustert ihn von oben bis unten.
    »Ist doch nicht wichtig«, sagt Jan.
    »Solltest mal in den Kraftraum«, sagt Lars, »so verhungert wie du aussiehst.«
    Jan zieht die Schnürsenkel seiner Schlittschuhe fest. »Haben wir nicht bei uns im Verein«, sagt er.
    Laura starrt weiter unbewegt auf die Eisfläche. Sie sieht so aus, wie er sich fühlt: erfroren.
    »Hast du mir nicht noch eine Runde versprochen?«, fragt Inkie.
    Lars zieht sie lachend mit sich aufs Eis. Er fährt rückwärts, in den Kurven einen Fuß über den anderen setzend, seine Schritte sind sicher. Sie versinkt in seinen Augen, vertraut sich ihm blind an. Ihre zarten Finger in seinen riesigen Händen, während er mit kurzen Blicken über seine Schulter den anderen Eisläufern ausweicht, unangestrengt und leicht.
    »Was ist das denn für einer?«, sagt Jan.
    »Bist ja bloß neidisch«, sagt Laura.
    In der Mitte der Bahn ein alter Mann, der Schrittfolgen und Pirouetten übt, ungerührt vom Treiben um sich herum, herausgelöst

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