Dieser Mann ist leider tot
vergeht die Zeit nicht. Sie ist angehalten. Von Braunville ist verzaubert wie Dornröschens Schloß. Wenn Sie den Kopf zu einem Ihrer Kollegen ins Zimmer hineinstecken, werden Sie sehen, daß ein roter Nebel über allem hängt und daß Ihr Kollege in diesem Nebel schwebt wie eine Beere in einem Glas Brombeergelee.«
Ich halluziniere schon wieder, denkt Vear. Oder ich träume. Erica und Dolly sind nicht wirklich hier, und ich spiele diese ›Nanophanie‹ in einer entlegenen Ecke meines träumenden Hirns. Wenn ich aufwache, werde ich immer noch Stubenarrest haben, als Strafe für meinen Spaziergang außerhalb der Kuppeln. Nyby wird immer noch tot sein. Erica wird sich an nichts erinnern, und Dolly wird angefangen haben, dutzendweise Spottdrosseln zu basteln. Um die Moral zu verbessern. Die inzwischen vielleicht nicht mehr zu verbessern ist.
»Sehr wahr«, sagt Kai alias Philip K. Dick zu Vear. »Dies ist ein Traum, eine Halluzination. Andererseits, ist nicht auch das Leben ein Traum? Und dieser Traum jetzt ist realer für Sie als irgend etwas von dem, was sonst rings um Sie herum passiert. Wenn Sie entscheiden, daß ich Irrealität bin – na, dann werden Sie auch annulliert. Gehört zum Territorium, Major.«
Diese Rede versetzt Vear in Angst und Schrecken. Sie klingt authentisch, als wüßte dieser Zwerg, Dicks derzeitige Hypostase, genau, wovon er redet. Also mitspielen, rät der Major sich selbst. Tu so, als ob das hier wirklich passierte, damit du dich nicht für alle Zeit aus dem Dasein verbannst, wenn du es unterläßt.
»Wenn Sie Philip K. Dick sind«, sagt Vear und bemüht sich, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken, »warum sehen Sie dann …so aus?«
»Weil ich tot bin, Gordon, und weil mein eigener verklärter Körper erst vor kurzem zum Heiligen aufgefahren ist. Aber mein Bewußtsein – meine Seele, wissen Sie – hängt noch hier fest, weil der Demiurg dieser Schöpfung (einer entschieden minderwertigen Schöpfung) mich damit betraut hat, den Alptraum zu korrigieren, der Nyby und die anderen hier oben veranlaßt hat, Selbstmord zu begehen. Ich meine, von hier oben können Sie verfolgen, wie schlimm es dort unten geht, und Ihre Verzweiflung vergrößert sich durch Ihre Perspektive von dem ganzen Schlamassel. Und durch die Trostlosigkeit Ihrer Umgebung.«
»Aber als Zwerg?« sagt Dolly. »Als schwarzer Zwerg?«
»Na, der Zwerg selbst ist noch am Leben. Ich bin nur ein Pilot in seinem Körper. Nach allem, was ich – da ich ihn einmal bewohne – über ihn vermuten kann, haben die angelische Hierarchie und auch ein paar andere Zwischenseelen gelegentlich von ihm Gebrauch gemacht. Er erlaubt es, dieser Kenneth ›Horsy‹ Stout, weil er im wesentlichen ein guter Mensch ist. Außerdem reist er gern. Er betrachtet die wohlwollende Besessenheit – durch Engel oder durch Zwischentypen wie mich – als eine Art Lohn dafür, daß er das Handicap seines Zwergwuchses erträgt. Überwindet.«
»Und ist das tatsächlich Stouts physikalischer Körper?« fragt Vear. (Falls irgendein Aspekt dieser Situation die Bezeichnung ›tatsächlich‹ verdient.)
»Es ist eine unverderbliche, buchstäblich unzerstörbare Version seines tatsächlichen Körpers. Verklärt vor der Zeit, wissen Sie, aber wiederum auch all der dornenreichen Mühsal ausgesetzt, die das Vermächtnis allen Fleisches ist – das heißt, wenigstens dann, wenn ich ihn dem Bewußtsein, der Seele, zurückgebe, das jetzt in der physikalischen Hülle schlummert. In einem Pferdestall außerhalb von Pine Mountain.«
»Moment mal«, sagt Dolly. »Wenn Sie weder den Körper noch die Seele dieses Menschen nehmen, was nehmen Sie dann eigentlich?«
»Nicht nehmen. Borgen. Was ich borge, ist ein Potential den spirituellen Leib, zu dem Stout werden wird, wenn er selbst stirbt und unverwest von den Toten auferweckt wird.«
Das ist, wie wenn man das Modell vom nächsten Jahr als Leihwagen nimmt, denkt Vear. Geht gar nicht.
Kai sagt: »Als ich sein posthumes Potential diesmal ausborgte, las Horsy gerade ein Buch von mir, und mein Roman löste bei mir die Anamnese aus. Plötzlich verlor ich meine Vergeßlichkeit und erinnerte mich an meinen Namen, und ich entsann mich auch, daß ich schon einmal in Von Braunville gewesen bin. Nur um den Laden auszubaldowern.«
»Warum wollten Sie ›den Laden ausbaldowern‹?« fragt Vear. »Was gibt es denn in Von Braunville, was ein Gespenst interessieren könnte?«
»Ich bin kein Gespenst, ich bin eine um eins
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