Dieser Mann ist leider tot
Gestalt gewinnt langsam an Schärfe, und es ist – genau wie Erica schon angedeutet hat – ein negroider Zwerg. Er trägt Bluejeans und ein weißes Hemd. Das Hemd bläht sich fast unmerklich an Ärmeln und Schultern, wie Flügel in einer sanften Brise.
Bevor Vear eine Begrüßung einfällt, die nicht frivol oder dämlich klingt, dreht sich der Zwerg zu den Lagerfächern hinter sich um und nimmt eine Packung Salzcracker heraus. Dann tritt er wieder an den Sortiertisch, schüttelt drei Cracker aus der Packung, murmelt ein Gebet oder eine Beschwörung und scherbelt die Kekse nonchalant über den Tisch. Vear fängt seinen gelassen daherschwebenden Cracker auf wie ein viereckiges Miniatur-Frisbee. Erica und Dolly fangen ihre ebenfalls.
»Nehmt und eßt«, sagt der Zwerg. (Sein Akzent ist eine Art Basic-Kalifornisch.)
Die drei Menschen am Sortiertisch essen.
Dann nimmt der Zwerg drei Dosen Traubensoda herunter, läßt die Spezialverschlüsse aufzischen und schiebt die Dosen über den Tisch zu seinen Gästen. Vear fragt sich einen Augenblick lang, weshalb er, Erica und Dolly – alteingesessene Mitarbeiter der Mondbasis – sich selbst jetzt als ›Gäste‹ dieser Erscheinung betrachten sollen; aber Gäste sind sie, ob es ihnen paßt oder nicht.
»Nehmt und trinkt«, sagt die Erscheinung.
Vear trinkt. Erica und Dolly tun es auch. Der einzige, der weder ißt noch trinkt, ist der Zwerg, der dem Major jetzt bekannt vorkommt, nicht nur, weil er ihn vor ein paar Tagen auf dem Kraterrand gesehen hat, sondern weil Dolly und Erica ihn jetzt ebenfalls zu erkennen scheinen.
»Elias!« erklärt die Psychotherapeutin.
»Jesus H. Christus!« sagt der Computerspezialist.
»Thomas Merton?« erwägt Vear zurückhaltend.
Der Zwerg kichert bescheiden. »Elias. Christus. Merton. Was kann ich sagen? Ihr seid nicht mal nah dran. Ich war vielleicht mal von Elias übernommen, Dr. Zola, aber als sein Geist mich – ’76 war das – verließ, da habe ich versucht, mich umzubringen. Was Christus angeht, da könnten Sie einen oder zwei Punkte kassieren, Mr. Dahlquist, aber nur wenn Sie es großzügig sehen. Was sollte das H bedeuten?«
Dolly macht ein verwirrtes Gesicht. »Gar nichts. Es war ein profanes H; es ist Bestandteil eines Fluches. Wie wenn man sagt: ›Jesus X. Christus!‹«
»Nun, X ist das Zeichen für chi, den Anfangsbuchstaben von ›Christus‹, wenn Sie es griechisch schreiben. Wissen Sie, ich hatte irgendwie gehofft, Ihr H stände für … äh … ›Horsy‹. Aber in Englisch, nicht in Griechisch.«
Vear spürt, wie die Härchen in seinem Nacken tanzen wie winzige, faserfeine Schlangen, die sich im Klang einer unhörbaren Flöte wiegen. Nichts von dem, was der Zwerg eben gesagt hat, ergibt irgendeinen Sinn. Vear versteht lediglich, daß Erica und Dolly noch in ihrer Fehlidentifikation dieser Erscheinung einen Teil ihrer Identität benannt haben. Sie sind einer Definition nähergekommen, als sie wissen oder als der Zwerg vorläufig zuzugeben bereit ist.
»Was Merton angeht«, fährt der Zwerg fort, »tja, ich schätze, das ist schmeichelhaft. Ernstlich schmeichelhaft. Aber was soll’s, daß wir beide mit dreiundfünfzig gestorben sind? Zufall. Dummer Zufall. Alles, was Merton und ich miteinander gemeinsam haben, ist der unerschütterliche Glaube daran, daß das Transzendente existiert, und daß Es mit dir sprechen wird, wenn Es jemals zu dem Schluß kommt, daß du dieser Mühe wert bist. Und das ist auch schon ungefähr alles. Das und die Suche nach dem Verständnis dessen, was, zum Teufel, es auch sein mag, das uns vorgesetzt wird, wenn das Transzendente schließlich zu sprechen geruht.«
»Sie haben mir gesagt, Sie würden sich identifizieren«, sagt Erica. »Warum lassen Sie uns dann dieses alberne Ratespiel spielen?«
»Sie haben doch angefangen, mit Namen um sich zu schmeißen. Nicht meine Schuld. Aber wenn Sie weiterspielen wollen, gebe ich Ihnen einen Hinweis: ›Confessions of a Crap Artist‹.«
»Philip K. Dick?« wagt Dolly.
»Gut, Mr. Dahlquist. Das K steht für Kai.« Kai hüpft auf den Tisch und setzt sich mit gekreuzten Beinen hin. Verklärt, aber dunstig, schimmert er dort. »Los doch! Essen Sie, trinken Sie! Kann sein, daß wir ein Weilchen hierbleiben.«
»Wir können uns nicht leisten, ›ein Weilchen‹ hierzubleiben«, protestiert Erica. »Wir haben Pflichten, die wir erfüllen, Verabredungen, die wir einhalten müssen.«
»Ich meinte es subjektiv«, sagt Kai. »Außerhalb dieser Kammer
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