Dieser Mann macht mich verrückt
ihn von der Bettkante geschubst. Gewiss, sie teilten einige Interessen. Trotz seiner Egozentrik hatte sie seine Gesellschaft geschätzt. Sie waren zusammen ausgegangen, ins Kino und in Galerien, und einer hatte den anderen bei der Arbeit unterstützt. Obwohl sie seine Neigung zur Melodramatik kannte, hatten seine verzweifelten Anrufe aus Denver sie alarmiert.
»Ich habe ihn nicht geliebt«, sagte sie. »Von der Liebe halte ich nichts. Wir haben uns nur umeinander gekümmert. Und wenn er anrief, klang er immer schlimmer. Schließlich hatte ich Angst, er würde sich umbringen. Freunde sind mir wichtig. Deshalb konnte ich ihn nicht im Stich lassen.«
»Mir sind Freunde auch wichtig. Aber wenn einer Probleme hat, steige ich in ein Flugzeug, statt alle meine Sachen zu packen und umzuziehen.«
Seufzend zog Blue einen Gummiring aus einer Jeanstasche und band ihr Haar wieder zu einem zerzausten Pferdeschwanz zusammen. »Ich wollte ohnehin nicht mehr in Seattle bleiben, sondern woanders leben. Natürlich nicht in Rawlins Creek.«
Sie fuhren an einem Schild vorbei, das Schafe zum Verkauf anbot. In Gedanken zählte sie ihre besten Freunde auf und überlegte, wen sie anpumpen könnte. Bedauerlicherweise hatten sie alle was gemeinsam - gütige Herzen und kein Geld. Prinias Säugling war schwer krank, Mr. Grey kam mit den paar Dollars von der Sozialversicherung kaum über die Runden, Mai hatte sich noch immer nicht von dem Feuer erholt, bei dem ihr Studio zerstört worden war, und Tonya unternahm gerade einen Rucksacktrip durch Nepal. Also war sie auf das Mitgefühl eines Fremden angewiesen. Ihre Kindheit schien sich zu wiederholen. Und sie hasste diese viel zu vertraute Angst.
»Erzählen Sie mir was von sich, Bibermädchen.«
»Ich bin Blue.«
»Schätzchen, wenn ich Ihren fragwürdigen Geschmack hätte, was Männer angeht, würde ich sicher auch im Blues versinken.«
»Nein, ich heiße wirklich Blue. Blue Bailey.«
»Klingt irgendwie falsch.«
»Während meine Mutter meine Geburtsurkunde ausfüllte, war sie ein bisschen deprimiert. Ursprünglich wollte sie mich Harmony nennen. Aber da brach der Aufstand in Südafrika aus, in Angola war der Teufel los ...« Sie zuckte die Achseln. »Da fand sie, auf dieser Welt wäre kein Platz für eine kleine Harmony.«
»Offenbar hatte Ihre Mutter ein ausgeprägtes soziales Gewissen.«
Blue lachte wehmütig. »O ja ...« Das soziale Gewissen ihrer Mutter hatte die leeren Bankkonten verursacht.
Als er den Kopf nach hinten wandte, entdeckte sie ein winziges Loch in seinem Ohrläppchen. »Dieses Malzeug im Kofferraum ... Hobby oder Beruf?«
»Mein Beruf. Ich porträtiere Kinder und Haustiere.«
»Ist es denn nicht schwierig, eine Klientel aufzubauen, wenn man ständig herumfährt?«
»Eigentlich nicht. Ich suche mir eine Gegend, wo betuchte Leute wohnen, und werfe Flugblätter, die mit einem meiner Bilder bedruckt sind, in die Briefkästen. Meistens klappt das ganz gut. Aber nicht in Städten wie Rawlins Creek. Da gibt‘s keine Luxusvillen.«
»Was das Biberkostüm erklärt. Übrigens, wie alt sind Sie?«
»Dreißig. Und - nein, ich lüge nicht. Für mein Aussehen kann ich nichts.«
»Safe net.«
Verwirrt zuckte Blue zusammen, als eine körperlose weibliche Stimme ertönte.
»Ich melde mich nur; um zu fragen, oh Sie Hilfe brauchen«, gurrte die Stimme, und Dean lenkte den Aston auf die langsame Fahrspur.
»Elaine?«
»Nein, hier spricht Claire. Heute hat Elaine frei.« Die Stimme drang aus den Lautsprechern des Autos.
»Hi, Claire. Mit Ihnen habe ich schon lange nicht mehr geplaudert.«
»Ich musste meine Mom besuchen. Wie läuft‘s auf der Straße? Ist der Verkehr nett zu Ihnen?«
»Keine Klagen.«
»Falls Sie Richtung Chicago fahren, warum schauen Sie nicht in St. Louis vorbei? Ich habe ein paar Steaks in der Gefriertruhe. Mit Ihrem Namen drauf.«
Dean klappte die Sonnenblende herunter. »Wie gut Sie zu mir sind, meine Süße, wie großzügig ...«
»Für meinen liebsten Safe Net-Kunden ist mir nichts zu teuer.«
Nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte, verdrehte Blue die Augen. »Lassen Sie die Frauen Schlange stehen und verteilen Nummern? Welch eine Verschwendung ...«
Auf dieses Spiel ging er nicht ein. »Haben Sie nicht das Bedürfnis, sich irgendwo anzusiedeln?«
»Dafür ist die Welt zu groß, und ich habe noch viel zu wenig davon gesehen. Vielleicht werde ich sesshaft, wenn ich vierzig bin. Ihre Freundin hat Chicago erwähnt. Wollten Sie nicht nach
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