Dieser Mann macht mich verrückt
Virginia Bailey«, begann sie schließlich. »Wahrscheinlich hast du noch nie von ihr gehört. In pazifistischen Kreisen ist sie ziemlich bekannt. Eine Friedensaktivistin.«
»Und was macht sie?«
»Nun, sie organisiert Demonstrationen in der ganzen Welt, und sie wurde schon so oft verhaftet, dass sie‘s gar nicht mehr zählen kann. Zweimal saß sie in einem Hochsicherheitsgefängnis, weil sie sich auf Abschussrampen für Atomraketen gewagt hat.«
»Wow.«
»Das ist noch längst nicht alles. In den achtziger Jahren starb sie beinahe bei einem Hungerstreik, um gegen die US-Politik in Nicaragua zu protestieren. Und dann ignorierte sie die UNO-Sanktionen, die das Verbot betrafen, Medikamente in den Irak zu bringen.« Ihr Blick ins Leere gerichtet, zerrieb Blue ein paar Glasurkrümel zwischen den Fingern. »Als die Amerikaner 2003 in Bagdad einmarschierten, war sie schon da, mit einer internationalen Friedensgruppe. In einer Hand hielt sie ein Protestschild, mit der anderen verteilte sie Wasserflaschen an die Soldaten. Solange ich denken kann, passt sie ganz genau auf, damit sie nicht mehr als dreitausendeinhundert Dollar verdient und keine Steuern zahlen muss.«
»Also schneidet sie sich ins eigene Fleisch?«
»Sie erträgt den Gedanken nicht, dass man ihr Geld verwenden könnte, um Atombomben zu bauen. In vielen Dingen stimme ich nicht mit ihr überein. Aber ich finde, die Regierung müsste den Steuerzahlern die Möglichkeit geben, selber zu entscheiden, was mit ihrem Geld passieren soll. Wäre es dir nicht lieber, die Millionen, die du Onkel Sam schenkst, würden Schulen und Krankenhäuser finanzieren statt Nuklearwaffen?«
Gewiss, das würde er vorziehen. Spielplätze für größere Kids, Vorschulprogramme für kleinere, kostenlose medizinische Versorgung für NFL-Schiedsrichter. »Was für eine faszinierende Frau, deine Mom«, bemerkte er.
»Eher verrückt, meinst du?«
Dean war zu höflich, um zu nicken.
»Nein, das ist sie nicht, sondern einsame Spitze. Ganz egal, was passiert. Schon zweimal wurde sie für den Friedensnobelpreis nominiert.«
»Also, jetzt bin ich wirklich beeindruckt.« Dean lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Und dein Vater?«
Blue tauchte ihre Papierserviette in ein Wasserglas und wischte die Donutglasur von ihren Fingern. »Als er in El Salvador einen Brunnenschacht aushob, kam er bei einem Erdrutsch ums Leben. Einen Monat vor meiner Geburt. Die beiden waren nicht verheiratet.«
Noch etwas, das ihn mit Blue verband. Bisher hatte sie ihm einige Fakten mitgeteilt, ohne private Dinge zu enthüllen. Er streckte die langen Beine aus. »Von wem wurdest du versorgt, während deine Mutter auf Reisen ging, um die Welt zu retten?«
»Ich wuchs bei verschiedenen wohlmeinenden Leuten auf.«
»Nicht besonders angenehm ...«
»So schlimm war‘s nicht. Die meisten waren Hippies Künstler, ein College-Professor, Sozialpädagogen. Niemals wurde ich geschlagen oder missbraucht. Als ich dreizehn war, lebte ich bei einer Drogendealerin in Houston. Aber um Mom zu verteidigen - sie hatte keine Ahnung, dass Luisa immer noch in dieser Branche tätig war. Und abgesehen von ein paar Typen, die manchmal vorbeifuhren und auf uns schössen, wohnte ich sehr gern bei ihr.«
Dean hoffte, Blue würde nur Witze machen.
»Sechs Monate verbrachte ich in Minnesota bei einem lutherischen Geistlichen. Aber Mom ist eine überzeugte Katholikin. Deshalb vertraute sie mich sehr oft diversen aktivistischen Nonnen an.«
Offenbar war ihre Kindheit noch instabiler als seine eigene gewesen. Kaum zu glauben ...
»Zum Glück waren Moms Freunde sehr engagiert, und sie brachten mir eine ganze Menge bei, was anderen Kindern nicht geboten wird.«
»Was denn?«
»Nun ja, Latein, ein bisschen Griechisch. Außerdem kann ich Wände tünchen, fabelhafte Bio-Gemüsegärten anlegen, mit Elektrogeräten umgehen. Und ich bin eine fantastische Köchin. Ich wette, da bist du mir unterlegen.«
Nun, er sprach verdammt gut Spanisch, und mit Elektrogeräten kannte er sich auch aus. Aber er wollte ihr die Freude nicht verderben. »Einmal habe ich in der Rose Bowl gegen Ohio State vier Touchdown-Pässe geschlagen.«
»Und die Herzen der Rose-Prinzessinnen betört...«
Natürlich, sie liebte es, ihn zu hänseln. Aber das tat sie mit so unverhohlenem Vergnügen, dass es niemals bösartig klang. Seltsam. Dean trank seine Kaffeetasse leer. »Da du so oft umgezogen bist, hattest du sicher Probleme in den Schulen.«
»Wenn man ständig
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