Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
gelebt, das ich in der Schule gelernt hatte. Vergiss dich selbst und lebe für deinen Mann und deine Kinder, um sie glücklich zu machen. Als mein Mann fremdging, schrieb ich mir das zu. Ich bin’s halt nicht, die ihn glücklich machen kann. Ich war mit einundzwanzig in ein Leben reingerutscht, das ich eigentlich gar nicht gewollt hatte. Mein einstiger Mädchentraum, später mal auf einem Pferd einen ganzen Tag lang durch meine Farm in Südamerika zu reiten– gekappt.
Als ich die Polyarthritis hatte, merkte ich, dass sich die Leute von mir entfernten, wenn ich über meine Schmerzen jammerte. Es machte mich aber auch nicht zufrieden, wenn sie sagten, Gott, du Arme, wie schrecklich. Als mir prognostiziert wurde, bald im Rollstuhl zu sitzen, dachte ich, gut, dann bin ich halt gehandicapt, aber ich finde trotzdem etwas, das ich machen kann. Und dann stellte ich mir vor, wie ich in meinem Rollstuhl auf den Kinderspielplatz fahre und den Kindern Märchen vorlese. Auf einmal wusste ich, dass ich selbst für mein Leben verantwortlich bin. Ich trennte mich von meinem Mann, studierte, ergriff einen Beruf als Sozialarbeiterin, wo ich Studierenden half, reiste und führte schöne Liebesbeziehungen.
Ich glaube, das Beste, was ich in meinem Leben vollbracht habe, war, meinen Kindern Liebe zu geben. Nicht nur, indem ich selbst für mein Glück sorgte, sondern indem ich mich gefreut habe, wenn sie glücklich waren. Als mein ältester Sohn seinen ersten Freund hatte, fuhren wir zusammen in meinem kleinen Auto nach Paris. Martin und Dennis saßen vorne, weil ich wollte, dass sie nebeneinander sitzen. Dennis legte seinen Arm um Martin und spielte mit den Händen erst in seinen Haaren, dann an seinem Ohrläppchen. Ich sah, wie Martin das genoss, und dachte, oh Gott, wie schön für meinen Sohn, er wird ganz offensichtlich geliebt, er ist glücklich. Ich habe meinen Kindern immer gesagt, mach dein Leben, schau, dass es dir gut geht. Und: Dein Leben kann anders sein als meins. Die beiden sind völlig unterschiedlich. Michael hat Familie und Martin hat sich in Thailand ein paar Äcker gekauft und probiert sich in tropischer Landwirtschaft aus. Mich freut es, wenn sie glücklich sind. Egal wie und mit was.
Da es mir wichtig war, möglichst selbstbestimmt zu leben, wäre es schon schön für mich, auch selbstbestimmt zu sterben. In der Art, ich schlucke jetzt eine Tablette, und mein Leben ist damit beendet. Also, ich habe Respekt vor den Leuten, die es fertiggebracht haben, ihrem Leben würdevoll ein Ende zu machen. Ich habe mir auch immer gedacht, man stirbt leichter, wenn man zufrieden ist. Und man sollte nicht gegen den Tod kämpfen. Sondern sich ihm hingeben und sagen: Es war schön, dass ich leben konnte, schade, dass es zu Ende ist, aber es ist zu Ende. Ich hoffe nur noch nicht so schnell.
Susanne Möbius, 74 Jahre
Ich habe das Gefühl, richtiggelebt zu haben
Wie ist das Dasein, wenn es keine Hoffnung mehr auf irgendetwas gibt? Keine Perspektiven, keine Zukunft? Dann muss man das Leben aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wie eine Rose, die man von oben, von unten, von der Seite oder aus der Diagonalen anschauen kann. Aus jeder Perspektive sieht sie anders aus. So kann ich entweder nur die Dornen betrachten oder aber die Blüte.
Bei mir ist die Blüte verwelkt. Ich liege hier und bin bald nicht mehr da. Eigentlich nicht zu begreifen. Man kann es mir tausendmal sagen, ich kriege es einfach nicht in meinen Kopf rein. Aber so wird es sein. Und auch wenn meine Blüte verwelkt ist, ist das noch lange kein Grund, dass ich mir nur die Dornen ansehen muss. Das ist jetzt meine Aufgabe, und das möchte ich auch hinterlassen.
Ich habe nämlich ein gutes Leben gehabt. Mit gut meine ich, dass ich das Gefühl habe, richtig gelebt zu haben. Mit allen Hochs und Tiefs. Wie eine Achterbahn, die immer rauf- und runtergeht. Und manchmal auch einen Überschlag macht. Das ist für mich das Leben. Je älter man wird, desto mehr weiß man ja auch, dass es nach einem Tief auch irgendwie immer wieder bergauf geht. Das Schwierige ist nur, aus den schlechten Zeiten etwas zu lernen. Das muss man schon wollen, von alleine lernt man nichts. Meine schlechteste Zeit war, als mir gekündigt wurde. Ich bin Koch von Beruf. Besonders gut kann ich italienisch kochen. Ich bin ja auch Italiener. Wir waren ein tolles Team in der Küche. Und dann plötzlich kam unser Chef an und sagte: Wir müssen den Laden dichtmachen. Es kommen zu wenig Leute. Und wenn sie
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