Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Verstorbenen stehen meist das Geburts- und Sterbedatum und dann die Namen der Angehörigen und Freunde. Dazu fast immer noch ein Spruch, eine Weisheit, mal ein Zitat aus der Bibel, mal eins von Rilke, Goethe oder Hesse, mal ein paar Gedanken vom Verstorbenen selbst. Manchmal finden sich Zusätze wie » plötzlich und unerwartet« oder » nach einem langen Leiden«. Mehr nicht. Diese Angaben sagen nichts über den Verstorbenen aus. Er verschwindet zwischen Feuilleton und Wirtschaftsteil. Eine Anzeige unter vielen, zusammengestellt aus Fakten. Doch was für ein Leben ist hier zu Ende gegangen? War es ein erfolgreiches, ein glückliches oder ein unzufriedenes, vielleicht ein versäumtes? Wusste dieser Mensch, wie es geht, das Leben?
So etwas erfahren wir allenfalls von berühmten und öffentlich bekannten Personen. Über sie ist kurz nach ihrem Tod ein meist umfassender Nachruf in den Zeitungen zu lesen. Wir wissen auch, wie große Philosophen, Dichter und Denker starben. Sie haben der Nachwelt oft detailliert hinterlassen, was sie empfanden, was sie bewegte in ihren letzten Stunden. Aber was denkt die Verkäuferin im Supermarkt, was der Kfz-Mechaniker, was die Gemeindemitarbeiterin von nebenan? Wie betrachten ganz gewöhnliche Menschen ihr Leben, wenn sie im Sterben liegen? Sind es Antworten auf die großen Fragen des Lebens, die sie eventuell gefunden haben und hinterlassen könnten? Oder sind es Banalitäten? Aber wer entscheidet eigentlich, was banal ist und was nicht? Was ist wichtig, ganz am Ende? Ist es möglicherweise das Gleiche, das immer schon wichtig war– oder etwas ganz anderes? Und woran erinnert sich jemand– dann, wenn es zu Ende ist, das Leben?
Mit diesen Fragen im Kopf begann ich, Gespräche mit Sterbenden und Menschen an ihrem Lebensende zu führen und sie zu fragen, welcher Mensch sie eigentlich gewesen sind. Bei ihnen zu Hause, in Pflegeheimen und in Hospizen habe ich fast hundert verschiedenen Nachrufen und Lebensrückblicken zugehört, die meine Gesprächspartner auf sich selbst gegeben haben. In großen Städten wie Berlin, Hamburg und München und in den kleinsten Dörfern. Auch in den USA habe ich sterbende Menschen nach ihrem persönlichen Resümee gefragt.
In einem Hospiz verbringen Menschen die letzte Zeit ihres Lebens, manchmal sind es nur ein paar Tage. Dann ist es für ein Rückblick-Gespräch zu spät. Viele verbringen mehrere Wochen im Hospiz, in Ausnahmefällen sind es sogar Monate. Die meisten sind sich darüber bewusst, dass sie dort sterben werden. Es gibt aber auch Menschen, die das verdrängen und die Situation eher so wahrnehmen, als seien sie in einem Pflegeheim oder einer Rehabilitationsklinik. Jedenfalls ist die gesamte Betreuung dort mit viel Respekt und Würde darauf ausgerichtet, den Menschen jeden Wunsch an ihrem Lebensende zu erfüllen.
Meine anfänglichen Bedenken, dass sich nur sehr wenige zu einem Gespräch über ihr abgelaufenes Leben bereit erklären würden, erübrigten sich schnell. Dass sich überhaupt jemand dafür interessierte, wie sie ihr Leben am Ende selbst sahen– das hat die meisten der Patienten erfreut, die ich während der letzten Jahre als Sterbebegleiterin besucht habe. Manche wollten ihren eigenen Rückblick nicht aufzeichnen lassen, aus Sorge, zu ehrlich zu sein und dann ihre Hinterbliebenen zu sehr zu belasten. Einige, die zunächst skeptisch waren, wurden von den Lebensrückblicken anderer überzeugt.
Alle Menschen, mit denen ich ein Gespräch führte, haben ihren Text vor der Veröffentlichung in diesem Buch autorisiert. Manchmal fragte ich mehrmals nach, ob sie die Dinge wirklich so direkt und unmittelbar stehen lassen wollten: Es gab fast niemand, der auch nur ein Wort geändert oder abgemildert wissen wollte.
Nichts ist also geschönt an diesen ganz persönlichen Lebensbeurteilungen. Jeder hat seine eigene Sprache, seine eigene Dramaturgie, seine eigenen Schwerpunkte. Nur die Namen wurden auf W unsch der Sterbenden geändert. Manche wollten ihre Krankheit nicht genannt wissen, dann habe ich sie weggelassen. Sonst habe ich nichts geändert.
Ich habe sie glücklich gemacht, z umindest für einen M oment
Ich möchte nicht, dass ihr all die Lügen glaubt, die irgendein Geistlicher an meinem Grab aussprechen würde. Einige von euch, die mich zu kennen glauben, würden ihm erzählen, was für ein guter Mensch ich trotz allem doch war. Nein danke. Es könnte mir egal sein, weil ich es nicht mehr hören muss. Es ist mir aber nicht egal.
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