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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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alles wie immer. Es war alles in Ordnung, soweit ein Leben eben in Ordnung sein kann. Ich litt wie immer unter dem Ego meines Chefs und war wie immer froh, in den Urlaub zu fahren.Amanda, meine Frau, hatte wie immer ihre gelegentlichen Wutausbrüche wegen mehr oder weniger nichts, Logan und Jason, unsere pubertierenden Söhne, stritten sich wie immer um Dinge, über die man als Erwachsener später nur noch lacht. Letzten Sommer ging es ihnen darum, wer auf dem Boot Vorschoter sein darf, also wer der Vordermann an Bord ist. Zu Weihnachten haben wir uns dann die Fotoalben angesehen, prosteten uns zu und sagten wie immer: Was für ein schönes Leben wir doch alles in allem haben. Dass wir es uns leisten können, einmal im Jahr eine Segeltour in Europa zu machen. Dass wir alle gesund sind. Merry Christmas and a Happy New Year to all of us. Was man sich eben immer wünscht.
    Wie dann von einem auf den nächsten Tag alles vorbei sein kann: Das begreift man nur, wenn es für einen selber so kommt. Obwohl– begriffen habe ich das noch nicht wirklich. Ich grübele nur unendlich viel darüber nach. Plötzlich bekam ich starke Kopfschmerzen, so stark wie noch nie, ging zum Arzt, und der diagnostizierte mir einen aggressiven Hirntumor. Und das mit neunundvierzig Jahren. Man hört so etwas ja immer von anderen, die dann schlimme Geschichten erzählen, aber dass es mich treffen könnte, das hätte ich mir nie vorstellen können.
    Und jetzt soll ich also erzählen, wie ich mein Leben im Rückblick sehe. Etwas hinterlassen für meine Familie und für meine Freunde. Zurückzublicken fällt mir schwer, weil es mir vor Augen führt, dass ich loslassen muss, worauf ich zurückblicke. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das noch vor meinem Tod schaffe. Aber ich will es versuchen. Meiner Frau und meinen Kindern zuliebe.
    Ihr wisst ja, ich bin Gerechtigkeitsfanatiker. Das war ich schon als Schuljunge. Wenn ich irgendwo mitbekam, dass jemand nicht gerecht behandelt wurde, habe ich mich eingemischt. Das gab nicht selten Ärger. Ich glaube auch, dass ich deswegen so unter meinem Chef leide. Er hat einen unerträglichen Geltungsdrang und verkauft die Leistungen und Ideen seiner Untergebenen, zu denen auch ich gehöre, als seine. Und zwar nach oben, also seinem Chef, und nach außen. Das ist nicht gerecht. Ich bin Informatiker und arbeite seit zwölf Jahren in einer Software-Firma im Silicon Valley. Vorletztes Jahr habe ich ein neues Marketing-Instrument für eine Software aus unserer Firma entwickelt, es vor versammelter Runde vorgestellt, und wer wurde genau deswegen Mitarbeiter des Monats? Mein Chef. Ich las es im Fahrstuhl, da ist immer so ein Aushang, wer warum Mitarbeiter des Monats geworden ist. Ich bin vor Wut geplatzt.
    Leider habe ich mich nie getraut, ihm ins Gesicht zu sagen, wie unmöglich ich das finde. Aus Angst, meinen Job zu verlieren. Eigentlich ist das feige, ich weiß. Aber wer sagt mir, wie schnell ich einen neuen Job finden würde? Und ob ich dann noch den Sommerurlaub in Europa bezahlen kann? Meine Kollegen und ich bekommen dort nämlich stattliche Provisionen. Natürlich habe ich seither schon öfter darüber nachgedacht, die Firma zu wechseln, es ist immer so ein innerer Konflikt zwischen Ungerechtigkeiten ertragen, dafür aber meiner Familie ein angenehmes Leben bieten zu können, oder aber meinem Gerechtigkeitsstreben folgen und das Risiko einzugehen, dann schlechter gestellt zu sein. Meine Arbeit jedenfalls ist mir sehr wichtig.
    Übrigens glaube ich an ein Leben nach dem Tod. Ich bin treuer Katholik, das hat bei uns Familientradition. Schon meine Großeltern gingen jeden Sonntag in die Kirche. Ich liebe die Zeremonie, das Pompöse. Einmal waren Amanda und ich auch in Rom, bei einer Papstaudienz. Nach meiner Hochzeit war das der schönste Augenblick in meinem Leben. Ich fühlte mich wie vom Himmel geschützt. Geschützt vor allen bösen Dingen und Widrigkeiten, die einem so widerfahren können.
    Hoffentlich gelingt es mir noch rechtzeitig, dieses Gefühl wieder in mir zu aktivieren. Denn ich könnte es jetzt ja gut gebrauchen. Einfach die Augen schließen und mich dem Himmel anvertrauen. Dort werden wir uns ohnehin alle wiedersehen, da bin ich sicher.
    Trevor M. Smith, 49 Jahre, Gehirntumor
    verstorben im September 201*

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    Ich hätte früher zugeben sollen, dass ich Männer liebe. Was hätte ich mir nicht alles an Seelenqualen gespart. Aber es war einfach unmöglich, wegen

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