Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
kommen, dann bestellen sie nur eine Apfelschorle oder ein kleines Bier und eine Pizza Margherita. Davon kann ich eure Gehälter nicht mehr zahlen. Das war ein Schock für mich. Danach habe ich mich bei zig anderen Italienern beworben, aber keiner hatte eine Stelle. Das hat irgendwann an meinem Selbstbewusstsein gekratzt. Kann ich nicht so gut kochen, wie ich es mir immer eingebildet habe? Ich bin auf Saltimbocca, Fegato und Fisch spezialisiert. Und mit Kräutern kann ich köstliche Geschmackserlebnisse zaubern. Bei den Vorstellungsgesprächen habe ich immer gesagt: » Lassen Sie mich zeigen, was ich kann!« Das hat aber leider keinen interessiert.
Irgendwann habe ich dann mein Leben in die eigene Hand genommen und selber ein Restaurant aufgemacht. Es trägt » La Rosa« im Namen und ist klein, wir haben nur sechs Tische, aber es ist sehr gemütlich und köstlich. Nur Pizza bieten wir nicht an. Es ist auch immer voll. Reich geworden bin ich zwar trotzdem nicht, aber ich habe mein Selbstwertgefühl wiederbekommen. Und das ist für mich viel wichtiger als Geld auf dem Konto. Der Wechsel vom angestellten Koch zum selbstständigen Restaurantbesitzer war die aufregendste Achterbahnfahrt in meinem Leben. Ich liebe meinen Beruf. Ich bin ein Macher, keiner, der groß nachdenkt. Deswegen ist es für mich jetzt schwierig, nicht auf die Dornen zu schauen, sondern auf die Blüte, die mal war. Mit einem viel zu hohen Blutdruck hat alles angefangen, dann kam der Schock der Diagnose » unheilbar krank«, und jetzt muss ich hier liegen und auf das Ende warten. Für meinen Geschmack habe ich viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Das ist schrecklich und entspricht so gar nicht meinem positiven Gemüt. Dann wird einem nämlich bewusst, dass das Ende ein trostloses, hoffnungsloses Dahinfristen ist. Und das macht mir Angst. Viel lieber denke ich über das Leben nach, das man noch nach vorne leben kann, für das man noch Pläne machen kann.
Meine Frau Eleonora, auch eine Italienerin, hatte die rettende Idee: Du ziehst um ins Restaurant! Denn ich möchte nicht zu Hause sterben, da ist es viel zu ruhig. Im Pflegeheim schon gar nicht. Ich brauche den Wirbel des Restaurants um mich herum, die Geräusche, die Düfte, die Betriebsamkeit. Eleonora hat zusammen mit Antonio, unserem Ober, eine kleine Wand zwischen die Garderobe und den Gästeraum eingezogen, und dort liege ich jetzt. Seither müssen die Gäste halt ihren Mantel über ihren Stuhl hängen. Dafür kann ich alles hören und riechen. Hier fühle ich mich wohl. Und ich bin abgelenkt. Dem Juniorkoch, den wir über eine Kleinanzeige gefunden haben und dem in einem anderen Restaurant gerade gekündigt wurde (so wie mir damals), sage ich täglich, mit welchen Kräutern er das Fleisch und den Fisch zubereiten soll. Und wo er sie bekommt. Das mache ich bis zu meinem letzten Atemzug. Solange ich das machen kann, gibt es Hoffnung. Antonio bringt mir übrigens jeden Abend ein Glas guten Wein in die einstige Garderobe. Dann stoßen wir auf das Leben an.
Ich wünsche allen Menschen, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug das machen können, was sie im Leben am glücklichsten gemacht hat. Vor allem Eleonora möchte ich danken für alles, was sie für mich getan hat. Am meisten für ihre Idee, dass ich an dem Ort sein und irgendwann auch vergehen kann, den ich am meisten liebe. Eleonora soll ihn weiterführen. Tut bitte Rosen auf meinen Sarg. Allerdings bloß keine rosafarbenen.
Giacomo Luigi, 67 Jahre
verstorben im Mai 201*
Ich dachte immer, i ch hätte das große Los gezoge n
Ich habe Angst vor dem Tod. Ich möchte immer noch nicht glauben, dass ich jetzt tatsächlich sterben muss. Ich bin weit entfernt davon, das zu akzeptieren. Trotzdem möchte ich euch hiermit ein paar Erkenntnisse aus meinem Leben hinterlassen– sicherheitshalber sozusagen. Es ist ganz gut, dass ich das schriftlich mache, damit ihr es nach meinem Tod lesen könnt, meinetwegen auch an der Trauerfeier vorlesen. Denn mit dem Ins-Gesicht-Sagen ist das ja so eine Sache.
Ich dachte immer, ich hätte das große Los im Leben gezogen, weil ich einen richtig guten Freund hatte. Einen Freund, mit dem man durch dick und dünn geht, vor dem man laut denken und fühlen kann, einen Freund, der da ist, wenn’s drauf ankommt und der auch Opfer bringt, wenn’s sein muss. So war das jedenfalls von Anfang an mit Klaus, mit dem ich gemeinsam die Hauptschule besucht habe. Er hat dann eine Ausbildung zum Schreiner gemacht, ich wurde Schlosser.
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