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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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Ich verabscheue den Gedanken an so viel Unwahres, das ihr über mich wisst und denkt. Daher hinterlasse ich euch hier das, was ihr wissen solltet. Lest es vor, wenn ihr an meinem Grab steht.
    Ich glaube nicht, dass mein Leben, so wie es verlief, viel mit mir zu tun hatte. Es hat mich bis zuletzt einfach so gelebt. Und es war nicht schlecht. Ich war nie der Typ, der Kontrolle haben wollte. Ich habe auch nichts gesucht, mich nach nichts Großem oder Besonderem gesehnt. Die Dinge haben sich einfach so entwickelt. Ich hatte das Glück, nie misshandelt oder missbraucht worden zu sein, dazu war ich eine viel zu kleine Nummer, und auch viel zu unattraktiv. Mit Anfang zwanzig, ohne Ausbildung, fand ich endlich diesen Job in einer Firmenkantine in Köln. Dort habe ich neunzehn Jahre lang tagaus, tagein Mittagessen ausgegeben, Menü eins war immer am teuersten, aber auch am besten. Das Salatbüfett habe ich eingeführt, das ist die einzige berufliche Leistung, die ich mir wirklich auf die Fahne schreiben kann. Einmal täglich etwas halbwegs Gesundes. Es gab einen Wettbewerb unter den Mitarbeitern, und mein Vorschlag für das Salatbüfett hat gewonnen. Den zweiten Preis hat eine Kollegin gemacht, sie wollte, dass es am späten Nachmittag noch mal frische Semmeln geben würde. Sie war dann auch ein bisschen sauer auf mich. Vermutlich weil sie nicht selber drauf gekommen ist.
    Vielleicht habt ihr euch gefragt, warum ich ein Auto hatte und auch zweimal im Jahr in den Urlaub fahren konnte. Dafür hätte das Geld aus dem Kantinenjob nie gereicht. Jetzt kann ich es euch ja sagen, ich muss schließlich keine Angst mehr vor euren Reaktionen haben: Nachts habe ich als Prostituierte gearbeitet. Erst alle zwei Wochen, dann immer häufiger, bis ich krank wurde fast täglich. Es war okay. Ich habe mich mit den Kunden gut verstanden, ich habe sie glücklich gemacht, zumindest für einen Moment. Und ich habe gut verdient. Von einem wurde ich schwanger. Jetzt weißt du, Tanja, woher ich deinen Vater kenne, dessen Namen ich nie erfuhr und den ich dir nie vorstellen konnte. Der Moment, als ich merkte, dass ich schwanger war, war schon ein Schock. War es verantwortungslos, dich zur Welt zu bringen?
    Danach ist alles irgendwie schiefgelaufen, ich habe nicht viel dagegen tun können. Vielleicht war meine größte Schwäche, dass ich immer alles habe laufen lassen, mir zu wenig Gedanken gemacht habe über alles. Tanja, bitte glaube mir: Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen. Ich kann nicht sagen, wie das mit dem Trinken angefangen hat, der Rückblick tut weh, ich sehne mich nach der Zeit zurück, als noch alles gut war. Und jetzt willst du mich nicht mehr sehen, weil ich Alkoholikerin bin. Überhaupt will mich seit meiner Krebsdiagnose niemand mehr sehen, nach neunzehn Jahren in der Kantine rief ein Kollege zweimal an, sonst nichts. Ich funktioniere ja auch nicht mehr.
    Mach es besser, meine Tochter, raff dich auf und lass dich nicht gehen, so wie ich es getan habe. Ich hätte dich so gerne noch um Verzeihung gebeten, es hätte mein schweres Herz erlöst. Bitte verzeihe mir– irgendwann. Dass wir uns im Himmel wiedersehen, daran glaube ich nicht. Lebt wohl.
    Johanna Thalmann, 53 Jahre, Lungenkrebs
    verstorben im Mai 201*

Ich sehne mich hin und wieder schon nach dem Leben, das ich eigentlich gerne gelebt hätte
    In meinem Leben ist eigentlich nichts Besonderes passiert. Meine Freunde würden das wahrscheinlich nicht so sehen, aber ich schon. Ich meine das auch gar nicht negativ. Denn was Besonderes kann ja auch was Schlechtes sein, und was wirklich Schlechtes habe ich nicht erlebt.
    Als ich neunzehn war, starb meine Mutter ganz plötzlich. Sie hatte eine Äppelwoi-Kneipe in der Nähe von Frankfurt, die hatte schon meine Großmutter. Diese Kneipe lief immer gut, läuft sie heute noch. Ich hab sie dann übernommen, weil ich dachte, das sei ich meiner Mutter schuldig. Dabei hatte ich gerade meine Ausbildung zum Maschinenschlosser beendet und wurde von dem Betrieb als einziger von allen Azubis übernommen. Dann passierte das mit meiner Mutter, und seitdem ist mein Leben also diese Kneipe. Jeden Tag. Übers gute Geld kann ich mich wie gesagt nicht beklagen, das ist ein Selbstläufer. Wir zeigen Live-Fußball, haben unsere Stammgäste und im Sommer auch Touristen. Es ist immer gute Stimmung, und was Gutes zu essen gibt es auch.
    Wenn man so eine Kneipe betreibt, findet man natürlich auch schnell Freunde. Das ist das Schönste an dieser Arbeit. Ich

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