Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
Vom Netzwerk:
den Hintern. Irgendwann sind die beiden kurzerhand abgehauen, und ich saß alleine da. Unser Sohn wohnt schon allein. Wofür soll das alles bitte schön gut gewesen sein?
    Jetzt habe ich auch noch Krebs, und die Ärzte geben mir nicht mehr lange. Gut, wenn Sie mich nach einer schönen Zeit in meinem Leben fragen, dann fällt mir meine Kindheit ein. Die war leicht und frei. Meine Eltern profitierten vom Wirtschaftswunder nach dem Krieg, mein Vater gründete eine Flaschnerei in Ostwestfalen, meinem Bruder und mir ging es gut. Wir hatten viele Freiheiten, es war noch nicht die Zeit der Überbetreuung durch die Eltern. Wir wurden morgens nicht gefragt, ob es die Erdbeer- oder Himbeermarmelade auf dem Frühstücksbrötchen sein darf, niemand half uns in die Jacke, und es hat auch keiner Ambitionen in uns erzwungen, die nicht aus uns selbst heraus gekommen wären. Mit sechzehn sind wir mit dem Motorrad über die Äcker des Bauern gerattert und hatten eine coole Braut hintendrauf. Das war ein tolles Gefühl. Im Rückblick muss ich feststellen: Nie wieder habe ich mich so frei gefühlt. Die letzte Braut hintendrauf war Birgit. Die mochte ich am besten, weil sie so geländegängig war. Ich würde sie immer wieder zur Frau nehmen.
    Schade, dass alles so gekommen ist. Ich liebe dich trotz allem, Birgit. Verzeih mir bitte. Man wird eben schwach, wenn das Schicksal zuschlägt. Manche schaffen es, damit umzugehen, manche nicht. Wenigstens habe ich dich nie betrogen. Das ist doch auch was, oder?
    Michael Sagnitz, 54 Jahre, Knochenkrebs
    verstorben im Juni 201*

Es können ja nicht alle Menschen unsterblich sein, das wäre ein Gewimmel auf der Welt
    Jeden Tag hat mein Mann gefragt, sag mal, hast du unsere Tochter schon angerufen? Ja, ich habe Kristin schon angerufen, aber ich kann sie auch noch mal anrufen. Wir telefonieren jeden Tag. Es sind nie endlose Gespräche, so ist es nicht, wir fragen nur, ob alles in Ordnung ist oder ob es was Neues gibt. So ist man verbunden. Und das brauche ich eigentlich auch. Ich habe eine ganz liebe Tochter, einen wunderbaren Schwiegersohn, drei Enkelkinder und drei Urenkel. Bei uns war es immer so, dass wir uns gegenseitig gekümmert haben und auch immer geholfen haben, wenn Not am Mann war. Ich finde, eine heile Familie ist das Beste, was man haben kann.
    Glück ist sehr schön, aber Zufriedenheit ist viel mehr. Glück ist bloß ein Moment, eine kurze Zeit, die man glücklich ist. Aber man muss zufrieden sein, das ist viel anhaltender, finde ich. Und ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich war dreiundsechzig Jahre verheiratet. Das ist eine ganz schön lange Zeit, und es war auch eine sehr schöne Zeit. Deshalb war das Schlimmste in meinem Leben, als mein Mann gestorben ist. Das war noch schlimmer als die Bombenangriffe auf Berlin, die waren zwar furchtbar, aber der Tod meines Mannes war viel persönlicher. Er ist ganz plötzlich Anfang des Jahres verstorben, mit neunzig Jahren, er war nie krank gewesen.
    Wie oft sage ich zu meiner Tochter, hach, wäre das schön, wenn Anton oder dein Vater noch da wäre. Er fehlt mir sehr, in vielen Dingen. Vor allem im Gespräch. Wir haben uns viel unterhalten, über dies und jenes, über alles, was so war. Ich musste ihn zwar meistens dafür so ein bisschen anstoßen, aber das ist halt bei Männern so. Wenn irgendwas war, habe ich mir Rat geholt. Er wusste so viel, er hatte ein ganz großes, wunderbares Allgemeinwissen, und da konnte man immer fragen. Aber nicht nur mein Mann fehlt mir, dass ich jetzt hier im Pflegeheim bin, keine Wohnung mehr habe, keine Küche mehr habe… Das fehlt mir auch, ich habe gerne gekocht. Aber ich habe mich jetzt da reingefunden. Was soll’s, ich kann es nicht mehr ändern.
    Man muss sich auch nicht einbilden, dass man einen Menschen ändern kann. Man muss Rücksicht aufeinander nehmen und vor allen Dingen: Man muss tolerant sein, das ist ganz wichtig. Und daran denken, den Partner so lieb zu haben wie am Anfang. Mitunter sehe ich im Fernsehen, wie Eheleute sich gegenseitig ankeifen, das finde ich furchtbar, so etwas gab es bei mir nicht. Ich habe zwar auch manchmal geschimpft und gesagt, Himmeldonnerwetter, das ist ja furchtbar, aber so furchtbar war das alles nicht. Zum Beispiel wenn mein Mann manchmal angetütert nach Hause kam, weil er bei seinen Mandanten Schnaps und Bier getrunken hatte. Aber das hing mit seinem Beruf zusammen, als Steuerberater konnte er nicht sagen, nein, ich will das nicht, dann wären die Mandanten

Weitere Kostenlose Bücher