Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
79 Jahre
verstorben im Februar 201*
Ich konnte sie nur nicht so sein lassen, w ie sie si nd
Meine Frau wirft mir seit Langem vor, dass ich mich nur über andere definieren würde. Dass ich nur zufrieden bin, wenn ich über andere schimpfe. Dass ich mir damit den Blick auf mich selbst verstelle. Und jetzt, wo mein Leben bald vorbei ist, soll ich mich selber noch mal anschauen? Mit mir ins Reine kommen? Das fällt mir schwer. Ich spreche hier eher, damit noch irgendwas von meinen Gedanken übrig bleibt, wenn schon von meinem Körper nichts mehr bleiben wird. Und damit ihr nach meinem Tod nicht allzu viele Sachen über mich sagt, die nicht stimmen.
Zum Beispiel stimmt es nicht, dass ich meine Kinder nicht geliebt habe. Ich konnte sie nur nicht so sein lassen, wie sie sind. Jonas ist schon mit fünfzehn von zu Hause abgehauen, und Jessika kommt seit Langem nicht mehr an Weihnachten nach Hause. Meine Frau gibt mir die Schuld daran. Jonas hat nur einen Immobilienfachwirt gemacht, das ist ja kein richtiges Studium. Und als Immobilienhändler macht er nach meinem Erachten zwielichtige Geschäfte. Das war immer der Stein des Anstoßes zwischen uns. Ja, sicher, er verdient viel Geld, kauft sich Autos, die ich nie hätte bezahlen können, und macht Reisen, die für uns immer unerschwinglich waren. Dann hat er mir immer an den Kopf geworfen: Hör doch auf mit dieser ganzen Bei-uns-war-früher-alles-ganz-anders-Scheiße. Ich habe mich immer gefragt: Wie soll das denn gehen, sich um seine Kinder kümmern, ohne sich einzumischen?
Ja, das macht mich immer noch wütend, auch jetzt, am Ende. Ich will nicht akzeptieren, dass meine Kinder anders sind, als ich es mir vorgestellt habe. Jetzt haben Gudrun und ich so viel Zeit geopfert, so viel geredet, erzogen und Werte vermittelt, viel Geld für eure Ausbildung ausgegeben– und dann wird nichts davon in eurem Leben für mich als Vater sichtbar. Das ist mein größter Schmerz. Sogar unsere Tradition an Weihnachten, gemeinsam einen Tannenbaum im Wald schlagen zu gehen, hast du, Jessika, mit Füßen getreten. Hast uns einen Brief geschrieben, dass es in deiner Wohnung alles geben wird, nur keinen Tannenbaum an Weihnachten.
Sie fragen immerzu nach mir selber, nach meinem Leben. Ich habe das Gefühl, ein äußerst unspektakuläres Leben abgespult zu haben. Es ist nie was Außergewöhnliches passiert, viel Routine. Nichts, was aus jetziger Sicht erwähnenswert wäre. Ich habe auch nie groß über das Leben nachgedacht, denn was soll das schon bringen. Dieses Fass hab ich nie aufgemacht.
Jonas, du hättest mir ja wenigstens mal ein gescheites Auto kaufen können von deinem vielen Geld. Kauf doch deiner Mutter wenigstens eins, wenn es mich nicht mehr gibt, sie hat es verdient. Und ich wünsche mir, dass meine Tochter Jessika mir an Weihnachten einen kleinen Tannenbaum aufs Grab stellt. Vielleicht kannst du dich ja dazu durchringen– ich krieg’s doch eh nicht mehr mit. Kann sein, dass ich Vaterliebe falsch verstanden habe in meinem Leben.
Andreas Laibl, 61 Jahre, Bronchialkarzinom
verstorben im Oktober 201*
Verziehen habe ich meinem Vater nie
Als Kind war ich im Turnverein. Da ich auch Kampfrichterin war und wir nach dem Sport noch Sitzungen hatten, wurde es abends manchmal etwas später. Meine Mutter hatte dann öfter Licht gemacht und nach meiner Tür geguckt, ob ich schon da bin. Wenn sie schimpfte, sagte ich, ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich gehe nicht aus, der Sport ist meine einzige Freude, den könnt ihr mir wohl lassen. Kaum dass ich in mein Zimmer gegangen war und im Bett lag, wurde die Tür aufgerissen, mein Vater kam rein und schlug mir direkt mit der Faust von oben runter ins Gesicht.
Mein Vater konnte sehr jähzornig werden. Das Geld reichte nicht, die Ehe lief schlecht, und dadurch gab es immer nur Zanken und Hauen. Aber ich hatte den Sport. Wenn irgendwo ein Wettkampf in Leichtathletik war, hat mein Trainer gesagt, da gehst du hin, weil ich meistens erste Plätze hatte. Ich habe viermal die Berliner Meisterschaft in Leichtathletik gewonnen. Kugelstoßen über zehn Meter mit achtzehn Jahren, das war eine Leistung, die nur wenige in meinem Alter erbrachten. Ich habe noch einen Batzen Urkunden hier liegen, meine Siege haben mir sehr viel Selbstbewusstsein gegeben.
Wenn mal ein Bekannter mit einem Blumenstrauß kam und mich abholen wollte, hat meine Mutter die Tür abgeschlossen, nein, du gehst nicht weg. Nun kann es sein, dass sie mich vor Enttäuschungen in der
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