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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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mich nicht trauen. Wovor genau hast du denn eigentlich Angst? Das frage ich mich jetzt, hier, sterbenskrank und pflegebedürftig. Jetzt fasst mich keine Frau mehr begehrend an, nur noch pflegend und mitleidig.
    Trotzdem war alles okay so, wie es war. Was soll ich auch anderes sagen. Der Mensch ist eben so: Wenn es einigermaßen geht, warum sollte man dann den unbequemen Weg gehen und seine Angst überwinden? Es gibt doch keinen wirklich wichtigen Grund. Vielleicht lerne ich die echte Liebe im Jenseits kennen. Es ist nicht ausgeschlossen. Vielleicht tue ich mich dort leichter mit der Nähe. Wer weiß.
    Jens Kramer, 61 Jahre, Blasenkrebs
    verstorben im August 201*

Mach dir nichts draus, du kannst e s sowieso nicht ände rn
    Eine Aufgabe im Leben gibt es nicht. Wer sollte sie einem geben? Man wird geboren, kommt ins Leben, und das spielt dann irgendwie mit einem. Bei dem einen geht’s so aus, bei den meisten geht’s so aus, und mein Leben ist eben anders gewesen. Ich habe ein Knie weniger als übliche Leute. Mein linkes Knie wurde mir 1950 wegen einer Knochenmarksvereiterung genommen, ein Weihnachtsgeschenk, als ich elf Jahre alt war. Seitdem renne ich mit dem steifen Bein rum. Dass mein Leben durch die Behinderung anders lief, steht in den vielen Aktenordnern hier. In dem einen Ordner ist mein Kampf um meine Fahrerlaubnis abgelegt, in dem anderen die Geschichte mit meiner Entmündigung und in dem dritten die Klage zur Wiedererlangung meines Eigentums.
    Mit dem steifen Bein hatte ich für meine damalige Frau und Mutter meiner drei Söhne, alle in Leipzig ansässig, geackert wie ein Blöder und 1979 ein Haus gebaut. Denn da ich nur ein popeliger Betriebswirt war und kein Professor, war für uns keine größere Wohnung vorgesehen gewesen. Aber dank des von Herrn Ulbricht beschlossenen Wohnungsbauprogramms konnte ich mit viel Kraft, Elan und Geld vom Staat selbst ein Haus bauen. Ich gab mir große Mühe, das Haus und den Garten sauber fertigzukriegen, damit irgendwann mal meine Enkel auf dem schönen großen Rasen herumtoben können. Na schön, vier Enkel habe ich, die vierte Enkelin habe ich noch nie gesehen, zu meinen Söhnen habe ich keinen Kontakt mehr.
    Vor sieben Jahren war ich in Not, weil ich neben der Überlastung des mehr leistenden rechten Beines den grauen Star auf beiden Augen kriegte. Mein Auto verkaufte ich, dann kam die Trinkerei, und schließlich wurde ich ins Pflegeheim eingeliefert. Da ich die monatlichen Heimkosten, Pflegestufe III , mit meiner Rente nicht zur Gänze zahlen konnte, wurden meine Söhne befragt, ob sie bereit seien, die fehlenden dreihundert Euro zu übernehmen. Doch die haben sich sofort bestätigen lassen, sie könnten ganz und gar nicht. Der eine Sohn hatte mit dem Hausbau zu tun, der andere mit dem Hauskauf, und das Einkommen von Sohn Nummer zwei floss ausschließlich in den Unterhalt für seine Töchter.
    Die Enttäuschung war, dass ich meinen Gedanken nicht weitergeführt kriege. Den Gedanken, dass, wenn ich in Schwierigkeiten komme, meine Söhne dafür einstehen würden. Stattdessen haben sie erreicht, dass mein Haus verkauft werden musste. Und das ging nur, indem sie mich für unzurechnungsfähig erklären ließen, damit sie dann über mich bestimmen konnten. Um zu begründen, dass ich ein unzuverlässiger, schlechter Mensch sei, hat der älteste Sohn, das ist der große » Schriftsteller«, Fotografien eingereicht von meinem » vernachlässigten« Haus. Durch meine Trinkerei und Raucherei sei dort alles versifft. Als ich dann selber nicht mehr so ganz zurechnungsfähig war, hat mein Sohn Nummer drei, vermutlich unter dem Einfluss seiner Frau, mit einem Schreiben eine » Betreuung« erwirkt. Doch die habe ich nun zurückgeklagt und, leider erfolglos, versucht, mein Eigentum, das aus meinem Haus rausgeschmissen wurde, zurückzuerhalten.
    Warum sich meine Söhne so verhalten haben, weiß ich nicht. Wut habe ich keine, ich bin ja an Kummer gewöhnt. Ich bin mit einer Behinderung groß geworden und habe es von Anfang an gelernt, mich nie über Hemmnisse aufzuregen. Mach dir nichts draus, du kannst es sowieso nicht ändern. Ich musste einfach nur vorankommen. Dabei hilft es zu reden, viel zu reden mit Leuten. Irgendwann fällt etwas ab an einer Ecke, an der man es überhaupt nicht vermutet. Man kriegt zum Beispiel Adressen von Leuten, die einem weiterhelfen können.
    Angst vor dem Tod habe ich nicht. Ich hätte sogar nichts dagegen, wenn morgen Schluss wäre, ich finde keinen Sinn.

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