Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Versuch eines Sozialismus, und dann kam wieder der Kapitalismus.
Ich glaube nicht, dass diese Form von Kapitalismus eine Überlebenschance hat. Es kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, dass die Leute sich zu Tode hetzen und tonnenweise Tabletten schlucken zur Beruhigung und zum Schlafen. Dass immer mehr Frauen zum Chirurgen gehen und sich das Gesicht verjüngen lassen, das ist doch kein Leben. Eine andere Grundidee müsste wieder in die Wirtschaft hineingetragen werden. Der Gemeinsinn, die Verantwortung, nicht nur an das eigene Konto zu denken, sondern Wohlstand für alle zu schaffen. Unter diesem Slogan ist er ja auch groß geworden, doch jetzt haben wir keinen Wohlstand für alle, jetzt haben wir Wohlstand für eine Säule, und die andere Säule geht davor tief in die Knie, und das ist nicht menschlich, würde ich sagen.
Angst vor dem Tod habe ich nicht. Ich möchte sterben möglichst ohne Schmerzen und mit freundlichem Gesicht. Nach dem Tod kommt, glaube ich, nichts mehr. Dass etwas bleibt, hoffe ich. Bleiben sollte, dass meine Kinder und Enkelkinder gerne an mich denken und sich zu bestimmten Stunden vielleicht noch mal daran erinnern, welche Weisheiten ich ihnen mit auf den Lebensweg gegeben habe, die sie auch befolgt haben. Mein erster Wunsch war, dass alle Abitur machen. Alle haben studiert, einer hat sogar promoviert und ist ein angesehener Diplomingenieur in der Forschung geworden.
Dietrich Meinhold, 90 Jahre
Man muss ja auch mal kämpfen, fü r dies oder jen es
Als Kind habe ich gerne in alten Bildern und Briefen gekramt. Da kam dann dies und jenes hervor, das fand ich wunderschön. Deswegen dachte ich, dass sich meine beiden Enkel später vielleicht auch freuen würden, wenn sie eine kleine Erinnerung an die Oma hätten.
Der Große ist vierzehn und der Kleine sieben. Sie hören noch, sind anständig und treiben sich nicht herum, also für die heutige Jugend sind es eigentlich gut erziehbare Kinder. Ich hatte eine ganz andere Erziehung und ein ganz anderes Leben. Ich bin ein echtes Kriegskind, im Krieg geboren und groß geworden. Wir haben viele Einstürze gehabt, und einmal wurden wir ausgebombt. Als das Hauptrohr platzte und das Wasser immer mehr anstieg, wäre ich beinahe ertrunken. Trotzdem war der Krieg für mich eigentlich normal, als Kind sieht man das anders. Wir mussten allerdings auch nicht ums Dasein kämpfen und haben während der Flucht Unterstützung durch die Verwandtschaft bekommen.
Auch nach dem Krieg hatten wir Glück, wir mussten keine größeren Schäden mehr erfahren. Aber die, die da waren, haben ja auch gereicht. Zuerst habe ich eine Lehre zur kunstgewerblichen Angestellten gemacht. Damals waren die beruflichen Auswahlmöglichkeiten sehr klein. Am meisten imponierte mir das Material der Lampenschirme, die wir per Hand nach antiker Manier anfertigten. Später habe ich in der Verwaltung eines Krankenhauses für chronisch psychisch Kranke gearbeitet. Das war wunderschön, vor allem wegen der Abwechslung. Machen Sie das mal, sind Sie schon dorthin gegangen, und haben Sie schon diesen Termin rausgegeben und jenen abgesagt? Mit dem Chef bin ich sehr gut ausgekommen.
In der Ehe lief es so wie bei allen, mal rauf, mal runter. Im Ganzen war die Kurve aber eher oben. Wir waren uns in allem einig, auch bei der Erziehung unserer Tochter. Also, wenn ich jetzt so überlege, gab’s keine Höhen und Tiefen, es verlief eigentlich alles glatt und normal.
Ich bin stolz, dass ich es bis zu meinen neunundsiebzig Jahren geschafft habe. Halt hat mir das Leben überhaupt gegeben. Man muss ja auch mal kämpfen, für dies oder jenes. Das Größte, wofür ich gekämpft habe, war, dass ich wieder gesund werde. Seit einem Jahr habe ich Lungenkrebs.
Leider kann ich nun nicht mehr für meine Enkel kochen. Wir gehen zu Oma grüne Bohnen essen, haben sie immer gesagt, das ist deren Leibgericht. Ein Eintopf mit Hammelfleisch und Bohnen, wie es sich gehört. Mit auf den Weg geben möchte ich ihnen, dass nicht jeder Tag Sonnenschein ist. Es gibt auch Tage, da klappt es nicht so. Doch auch wenn ich jetzt nicht mehr hier im Hospiz kochen kann, würde ich mir wünschen, dass es so bleibt, wie es jetzt ist. Hier ist es so schön. Ich habe hier meine Ruhe, mein wunderbares Essen, und die Einrichtung für dieses kleine Zimmer ist auch vollkommen ideal. Ich bekomme meine Medikamente, die notwendig sind zum Überleben, und habe zweimal in der Woche Gymnastik. Also, Angst zu sterben habe ich nicht.
Iris Wünsch,
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