Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
ich auch ein besonderer Mensch bin. Meine Nichte und mein Neffe, die ich sehr liebe, haben auf dem Klavier etwas vorgespielt, das haben sie total schön gemacht. Ich würde gerne wissen, was aus den beiden wird. Ich hoffe sehr, dass sie meine Liebe gespürt haben und dass sie Spuren hinterlässt, auch bei anderen Menschen. Sie sollen sich oft im Leben etwas trauen, vor allem sich selbst.
Barbara Schenk, 52 Jahre
verstorben im Mai 201*
Ich wollte nie im Herbst oder Winter sterben
Manchmal denke ich, was mache ich eigentlich hier im Hospiz? Das ist kein Kuraufenthalt, und ich bin auch nicht im Krankenhaus. Ich weiß wohl, warum ich hier bin, aber ich will es noch nicht ganz wahrhaben. Dieses ständige Abschiednehmen, von allem immer Abschied nehmen. Als ich aus meiner Wohnung rausgegangen bin und mir bewusst gemacht habe, das war’s für immer, bin ich fast wahnsinnig geworden. Zu wissen, dass man nie mehr in einem Kaufhaus sein kann, nie mehr einen Restaurantbesuch machen wird, Dinge, die man geliebt hat, nie mehr sehen wird, ist sehr schwer. Vieles ist so endgültig, manches noch nicht. Wenn meine Kinder und Enkel nach einem Besuch bei mir wieder nach Hause fahren, weiß ich ja, dass sie wiederkommen. Trotzdem ist alles, was mit diesem letzten Lebensabschnitt in Verbindung steht, irgendwie mit Abschied verbunden. Und das setzt mir sehr zu.
Dann kommt noch die Jahreszeit hinzu. Ich wollte nie im Herbst oder Winter sterben. Immer im Frühling, wenn’s hell ist und grün. Vielleicht schaffe ich es ja, ich weiß es nicht, das weiß niemand. Aber jetzt dieses Graue, die Nässe, das Dunkle, das reißt mich alles noch mehr runter. Wenn in der Natur gerade gestorben wird und den Blättern die Kräfte entnommen werden, dann mit dem Vorteil, dass die Bäume und Pflanzen die Kraft brauchen, um wiederzukommen. Doch wenn meine Kräfte schwinden, frage ich mich, wo und wann komme ich wieder?
Ich möchte nicht als Ameise, Fliege oder Tier, das geschlachtet wird, wiederkommen. Das hätte dann wieder so etwas Endgültiges. Und das Wieder-gehen-Müssen möchte ich nicht mehrfach erleben, glaube ich. Ich könnte mir eher vorstellen, in der Gestalt des Engels, der auf meinem Bettschrank steht, wiederzukommen. Zunächst erhoffe ich mir, dass er mich schützt, auf- und mitnimmt, wenn ich gehe. Auf diese Weise hätte er später gewisse Teile von mir, Denkweisen und auch Gefühle. Und dieser Engel beobachtet dann vielleicht manches und darf an bestimmten Dingen teilhaben. Er kann Schönheiten der Natur erleben, mit nackten Füßen im Wasser am Strand sitzen und den Wellengang verfolgen. Diese Dinge würde ich mir rauspicken, Angenehmes, was mir im Leben Spaß gemacht hat. Meine drei Töchter und ich haben eigentlich immer Urlaube am Meer verbracht. In Dänemark, Schleswig-Holstein oder auf Rügen. Ach, alles ist so wunderschön dort. Ich liebe das Offene und Weite. Das sind Sachen, von denen ich mich nicht endgültig verabschieden möchte und die ich auch wieder erleben möchte.
Außerdem könnte ich vielleicht in der Gestalt des Engels ein paar Fähigkeiten behalten, die anderen und mir guttun. Ich hatte immer schon versucht, meine Flügel über meine Kinder auszubreiten und aufzupassen, dass ihnen nichts Böses geschieht. Als meine älteste Tochter vier Jahre alt war, hat sie innerhalb kürzester Zeit alle Haare verloren und hat auch nie wieder welche bekommen. Sie war so sehr dem Schutz ausgeliefert, jahrelang musste sie eine schwere Zeit durchmachen. Doch durch die Stärkung ihres Umfelds ist sie später genau so geworden, wie ich es mir erhofft hatte. Sie ist ein ganz tougher, mutiger Mensch geworden, hat einen Beruf erwählt, in dem sie mit Menschen zu tun hat, und vier Kinder in die Welt gesetzt. Für ihre Stärkung habe ich jahrelang gekämpft. Einfach nur mit Liebe und Vertrauen.
Dieses Zusammensein früher mit den Kindern, als sie noch klein waren, gehört zu der besten Zeit meines Lebens. Was haben wir gelacht und versucht, das Leben auch komisch zu nehmen! Wir haben so viel Spaß gehabt, das hat so viel Dunkles überdeckt.
Alles andere, was wehtat, will ich nicht mehr erleben müssen. Im Moment versuche ich auch, die Erinnerung daran zu verdrängen, sie tut mir nicht gut.
Wenn ich schon nicht aussuchen kann, wann und wodurch ich sterbe, dann möchte ich wenigstens noch zum Teil mitbestimmen dürfen, wie ich den Weg gehen will, ohne anderen allzu sehr zur Last zu fallen. Deshalb hatte ich auch von mir aus den
Weitere Kostenlose Bücher