Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
ganzer Schuppen war voller Steine, die wir gesammelt hatten, die wollten wir uns alle im Alter angucken und sortieren. Jetzt habe ich nur noch einen kleinen Rest davon, die andern habe ich alle weggegeben. Leider ist er im vorigen Jahr gestorben, achtundzwanzig Jahre war ich mit ihm zusammen. Das war die schönste Zeit.
Vor dem Sterben habe ich keine Angst, ich weiß ja, dass es weitergeht. Früher war ich eher halb gläubig, aber nachdem meine Eltern gestorben sind, habe ich eigentlich stärker geglaubt.
Elfriede Jahn, 86 Jahre
Es ist gut im Leben, wenn man es hinkriegt, a uf sich se lbst zu hören
Ich habe einen großen Traum gehabt in meinem Leben. Lange schon, viele Jahre. Ich wollte immer mal nach New York reisen. Aber immer wieder ist die Reise an verschiedenen Äußerlichkeiten gescheitert, die Partnerin wollte zum Beispiel nicht mitkommen, und eine Zeit lang wollte ich nicht alleine reisen. Irgendwann habe ich dann mal gesagt, so, das muss ich jetzt noch machen, bevor ich fünfzig werde. Und dann bin ich drei Wochen lang alleine mit dem Fahrrad durch Manhattan gefahren. Besonders schön war, dass ich dort meinem ganz eigenen Rhythmus folgen konnte und einfach jeden Schritt so machen konnte, wie ich wollte. Nichts war vorgeplant, alles entstand aus dem Moment heraus. Ich las in der Zeitung, dass Vanessa Redgrave am Broadway spielte und besorgte mir eine Karte.
Als ich die Diagnose mit dem Krebs kriegte, habe ich gleich gedacht, Mann, gut, dass du die New-York-Reise gemacht hast. Es ist gut im Leben, wenn man es hinkriegt, auf sich selbst zu hören. Ich bereue, dass ich manchmal zu ängstlich dazu war und mich festgehalten habe an Sicherheiten, die auch trügerisch sind. Oft habe ich mich nicht getraut, den Job zu wechseln, auch wenn klar war, dass er nicht mehr wirklich gut war. Weil ich Ängste hatte und dachte, was passiert, wenn ich nichts anderes finde, dann muss ich nach einem Jahr Hartz IV beantragen und meine Rente wird noch geringer. Ich war viele Jahre als Sozialarbeiterin tätig, in einem Frauenhaus für misshandelte Frauen, und später beriet ich am Notruftelefon Frauen, die vergewaltigt worden waren. Das hat mir einerseits Freude gemacht, aber andererseits war es auch ein ganz schöner Kampf. Um Anerkennung, um Gelder, und mit der Zeit ist alles immer anstrengender geworden.
Ähnliches gilt vielleicht auch für eine Beziehung, die ich länger aufrechterhalten habe, als es Sinn gemacht hat. Wo vielleicht auch eine innere Stimme gesagt hat, das stimmt hier nicht mehr so wirklich, aber dann war die Angst doch so groß, alleine zu sein. Und das ist im Nachhinein vielleicht auch kostbare Zeit gewesen, die ich nicht so genutzt habe.
Na ja, im Moment sieht es ja nicht danach aus, als müsste ich mir um so etwas wie Rente noch Gedanken machen. Jetzt stehen ganz andere Sachen im Vordergrund. Begegnungen mit Menschen, Momente. Ich glaube, dass es auch eine Chance ist, krank zu sein. Man kann dann Dinge sehen, die man vorher nicht gesehen hat, oder Dinge tun, die man vorher nicht getan hat. Dass Menschen mich nun anders wahrnehmen, weil ich nicht mehr die Große, Starke, Sonstwas bin, sondern auch noch eine andere Seite an mir sichtbar wird. Aber auch, dass man hergeht und Leuten sagt, wie lieb man sie hat. Offener mit den eigenen Gefühlen zu sein oder auch mit jemandem zusammen zu weinen und miteinander da zu sein. Etwas, das man sonst nicht so tut, wo wir dann doch alle irgendwie mit Funktionieren zu tun haben und jeder seinen Pflichten nachrennt. Manchmal fehlt dann der Raum dafür. Doch im Moment entsteht ganz viel an Begegnung, und oft liegen eine gr oße Freude und eine große Trauer dicht beieinander.
Oder auch dass ich jetzt dank einer Pumpe wieder genießen kann zu essen. Das ist ein Riesengeschenk, ganz normal essen zu können. Denn es gab eine Zeit, wo ich kaum etwas runtergekriegt habe und dauernd spucken musste. Aber jetzt erlebe ich Essen als etwas ganz Besonderes, als etwas, das sich lohnt zu zelebrieren oder zu genießen. Und wenn es nur eine Scheibe Brot ist, so etwas kann schnell verloren gehen.
Ich habe jedenfalls viel das Gefühl, im Hier und Jetzt zu sein. Und dann taucht wieder die Frage auf, habe ich den Willen, wieder gesund zu werden, habe ich die Kraft dazu, gibt es diesen Weg noch oder gibt es den nicht? An meinem Geburtstag neulich waren zwanzig Menschen hier im Hospiz, die mir ganz wichtig sind. Mein Vater hat gesagt, dass diese Menschen besondere Menschen seien, weil
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