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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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Entschluss gefasst, ins Hospiz zu gehen. Ich hätte nicht zu Hause sitzen und sagen können, seht mal zu, was ihr jetzt mit mir macht. Es war mir auch wichtig, die Patientenverfügung zu geben. So hat alles seine Ordnung, ohne dass die anderen sich den Kopf darüber zerbrechen müssen.
    Jeder dieser Schritte macht den Abschied ein bisschen leichter, man wird wenigstens einen Teil davon los, der einen beschwert. Denn wenn man sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen würde, träfe er einen umso härter, glaube ich. Und ich war schon immer für Offenheit und Klarheit, und das, denke ich, zieht sich bei mir noch bis zum Schluss durch.
    Helga Schlück, 62 Jahre, Brustkrebs

Ich konnte jedenfalls immer lachen
    Gerade als ich meine Lehre zum Tierpfleger in Kummersdorf angefangen hatte, wurde ich schwanger. Dann wurde daraus nichts mehr. Ich war damals noch nicht volljährig, wohnte im Mädchenheim, der Vater im Jungsheim. Mein Kind haben sie mir weggenommen, weil das Heim so überfüllt war. Irgendwann traf ich den Vater vor der Tür, und er sagte zu mir: Wenn du unser Kind wiederhast, kannst du dich ja mal bei mir melden. Ich wusste nie, wo er war, er war immer weg. Trotzdem hat er sich bereit erklärt zu heiraten. Wir hätten sozialistisch heiraten können, das heißt, dass sein Betrieb die Hochzeit bezahlt hätte. Meine Erzieherin sagte nämlich: Du weißt ja nicht, wo der sich überall rumtreibt. Dafür wäre mir mein Körper zu schade. Das war ein Schlüsselsatz für mich, da hat’s bei mir klick gemacht. Dreißig Jahre später übrigens kam er dann noch mal an und wollte wieder ein Verhältnis.
    Ich habe in Berlin sechzehn Jahre lang als Fleisch- und Trichinenbeschauer auf einem Schlachthof gearbeitet. Weil man da ne ganze Menge verdienen konnte. Alle Schweine wurden aus China importiert, und da mussten wir immer schauen, ob wir diese winzigen Fadenwürmer finden, die sich von den Schweinen auf die Menschen übertragen können. Wer Trichinen fand, bekam hundert Mark. Leider habe ich aber nie welche gefunden. Einmal hat ein und dieselbe Kollegin sogar auf beiden Schweinehälften was gefunden, also bekam sie zweihundert Mark. Ich hab’s ihr gegönnt, denn sie war arm. Weitere fünfzehn Jahre habe ich dann in der Näherei auf demselben Schlachthof gearbeitet, das war nicht so anstrengend, da konnte ich auch während der Schwangerschaften bei der Arbeit sitzen.
    In der Zwischenzeit habe ich dann den Vater meiner weiteren drei Kinder kennengelernt und auch geheiratet. Leider hat sich der aber schon nach einem halben Jahr als Katastrophe herausgestellt. Er war eifersüchtig und ständig besoffen. Schmiss den Wohnzimmertisch um und sagte dann: Was ist denn hier los? Das hab ich mich auch immer gefragt. In den wenigen Momenten, in denen er mal nüchtern war, habe ich ihn gefragt: Was stört dich denn an mir? Ich mach dir was zu essen, ich nähe und flicke deine Kleidung, ich mache die Wohnung gemütlich und zahle alles– was hast du also? Nichts hat er gesagt. Im Kindergarten wurde ich mal gefragt: Kann ihr Mann überhaupt lachen? Also ich konnte jedenfalls immer lachen, auch hier und heute noch. Gut, dass ich mich vor Langem schon von ihm hab scheiden lassen.
    Nach dreißig Jahren mit Männern auf dem Schlachthof ist mein Fazit: nie wieder Männer! Die haben immer nur übers Fremdgehen geredet, und als ich mal einen gefragt habe, was wäre, wenn seine Frau ihn betrügen würde, hat er gesagt: Die ist doch kein Stück Seife, nutzt sich ja nicht ab. Nur meinen ersten Mann habe ich geliebt, ansonsten habe ich immer die Notbremse gezogen. Da bin ich auch stolz drauf. Man muss die Dinge ja gerade als Frau unter Kontrolle behalten.
    Die schönste und auch die schlimmste Zeit in meinem Leben hatte ich in meiner Kindheit. Schön war’s bei meinen Pflegeeltern. Da kam ich hin, nachdem meine Geschwister und ich auf der Flucht mit dem Güterzug aus Westpreußen nach Berlin transportiert wurden. Als der Zug im Bahnhof einfuhr, waren meine Geschwister da drinnen bereits gestorben. Ich hatte Glück und kam zu Pflegeeltern, die mich richtig verwöhnt haben. Und das, obwohl ich ein echtes Miststück war. Meine Schuhe habe ich mit der Rasierklinge kaputt gemacht, nur damit ich neue kriegte.
    Als ich neun Jahre alt war, hat sich meine Pflegemutter umgebracht. Einen Tag, bevor sie vierzig wurde. Aus Liebeskummer. Sie hat sich in meinem Zimmer und, schlimmer noch, an meinem Springseil aufgehängt. Um sie runterzukriegen, musste mein Vater

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