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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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leider das Seil durchschneiden, da führte kein Weg dran vorbei. Ich habe mein Seil so geliebt. Weil es für mich damals zu lang war, hatte ich zwei Knoten reingemacht. Die haben am Hals meiner Pflegemutter dunkelblaue Stellen gemacht , der restliche Streifen am Hals war weiß.
    Wir hatten sie dann eine ganze Weile in der Wohnung, weil Vati erst das Klavier verkaufen musste, um den Sarg bezahlen zu können. Und ich, ich habe nur um mein Seil getrauert. Erst im Hort, als ich erzählte, was passiert war, und in die bestürzten Augen meiner Erzieher und der anderen Kinder schaute, konnte auch ich heulen. Aber trotzdem war ich erleichtert. Endlich konnte ich anziehen, was ich wollte. Nicht mehr diese weißen Lackschuhe und weißen Seidenstrumpfhosen. Keine Locken mehr im Haar, die sie mir immer mit der Brennschere reingedreht hat. Denn, so müssen Sie das sehen, das Verwöhnen hatte zwei Seiten: Ich war für meine Pflegemutter das Luxuskind.
    Als mir der Arzt dann vor zwei Jahren sagte, er hätte irgendwo einen dunklen Fleck beim Untersuchen gesehen, hat er sich so schwergetan damit, mir zu sagen, dass es Krebs ist. Ick hab ihm dann gesagt: Nu drucksen Sie mal nicht so rum, und sagen Sie schon das Wort mit den fünf Buchstaben. Es hilft doch nichts. Ich habe überhaupt keine Angst vor dem Sterben, war doch ein tolles Leben. Ich fühle mich leicht und bin gut drauf. V ier tolle Kinder habe ich, die alle für mich da sind, was will ich mehr. Mein einer Sohn ist schwul, meine Tochter ist lesbisch, alles dabei. Das Leben geht eben so, wie es geht. Da kann kommen, was will.
    Bärbel Koch, 70 Jahre, Lungenkrebs

Du musst mit offenen Augen du rch die Welt gehe n
    Als ich heute früh spazieren ging und die Sonne so schön schien, habe ich gedacht, wenn’s doch jetzt auf der Welt überall so friedlich und freundlich wäre wie in dem Moment hier bei mir, dann wäre ich glücklich. Die Natur in Ordnung, keine Katastrophen, kein Krieg, kein Schießen, das würde ich allen Menschen wünschen.
    Wenn ich der liebe Gott wäre, würde ich von jetzt auf gleich in Amerika, überall, wo Menschen sich umbringen, sämtliche Waffen verschwinden lassen, auch sämtliche Stätten, wo sie hergestellt werden. Dass die Deutschen, die so einen fürchterlichen Krieg verbrochen haben, die größten Lieferanten von Waffen sind, verachte ich. Ich finde, dass die Menschen erst mal wieder ein bisschen mehr Achtung vor allem bekommen müssten, ob das jetzt ein Tier, eine Pflanze, ein Mensch oder die Umwelt ist. Es ist ja kaum noch Achtung da, obwohl: Ausnahmen bestätigen die Regel. Hier im Pflegeheim haben wir junge Männer, Zivis oder Auszubildende, die sehr liebevoll mit uns Alten umgehen. Doch heute fallen die Guten auf, früher war es umgekehrt, da fielen die Bösen auf, und das ist eine ganz schlechte Bilanz.
    Ich bin heute noch dankbar, ein sehr soziales Elternhaus gehabt zu haben. Mein Vater hat mich schon als Kind in alle Musen eingeführt, ob das jetzt Theater, alte Gemäuer oder Kunstausstellungen waren. Später habe ich diese Begeisterung als Kulturobmann neben meinem Beruf als Telefonistin an ande r e weitergegeben. Mein Vater hat immer gesagt, du musst mit offenen Augen durch die Welt gehen, du musst farbig sehen. Das mache ich vor allem, wenn ich die Schönheit der Natur bestaune. Dieses Verändern und Immer-wieder-Neuentstehen, das gibt mir Kraft. Im Herbst, wenn ich sehe, wie die Färbung der Blätter im Wipfel anfängt und dann langsam nach unten geht. Und jedes Blatt, das runterfällt, ist ein Unikat.
    Als wir einmal im Park von Sanssouci eine riesengroße Buche betrachteten, meinte mein Vater: Guck mal, ist sie nicht wie ein großer Dom? Bin ich hier in der Natur Gott nicht näher als in der Kirche? Ich habe einen Glauben, aber der ist in der Natur. Denn mein Vater hat immer gesagt, die Kirche macht keinen Christen, ein Christ muss leben wie ein Christ, das ist das Wichtigste.
    Dreimal im Leben gab es bei mir die große Liebe. Mein Verlobter, der im Krieg geblieben ist, mein erster Mann und mein zweiter, mit dem ich fünfzig Jahre zusammen war. Ich hatte immer nur Menschen um mich, die einen sehr guten Charakter haben, was anderes hätte ich auch nicht genommen. Wir haben uns auch nicht mit Schmutz beworfen, als mein erster Mann und ich uns getrennt haben.
    Was mich heute am meisten ärgert, ist, dass man unsere DDR von drüben nur von vorne bis hinten mit Dreck beschmeißt. Jetzt rede ich mal, so hätte ich zu Hause nie reden dürfen,

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