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Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)

Titel: Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane zu Salm
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er sie überhaupt nach Hause brachte? Weil ich zu streng mit ihm war? Zu viel von ihm verlangte? Als ich dann den Brief fand, wurde der Schmerz unerträglich und die Schuld kam hinzu. Wie wenig Achtung kann man vor einem Menschenkind haben, wenn man dessen Seele absichtlich auf Sand baut, stand dort mit einem dicken Fragezeichen versehen drin. Mit der Rechtschreibung hatte Lukas immer Schwierigkeiten, aber dieser Brief war hundert Prozent fehlerfrei.
    Tja, dann haben Regine und ich eine Therapie angefangen, aber der Therapeut konnte mir die Schuldgefühle auch nicht nehmen. Am schlimmsten ist, dass ich Lukas nicht mehr erklären konnte, warum wir es ihm nicht gesagt haben. Und dass das nie etwas mit unserer uneingeschränkten Liebe für ihn zu tun hatte, sondern nur mit uns, vor allem mit mir. Ich kann nur allen Eltern, die ihre Kinder adoptiert haben oder noch adoptieren werden, dazu raten, es ihnen beizeiten zu sagen. Denn mein Leben ist seither kaputt, am Ende. Wenn man so viel Schuld auf sich geladen hat, dass man einen anderen Menschen in den freiwilligen Tod treibt, dann ist alles vorbei, wirklich alles. Ich kann mich auch nicht damit trösten, dass ich das natürlich nicht wollte. Es kann mich ja auch niemand mehr ent-schuldigen, mich freisprechen. Das könnte nur mein Sohn. Daher ist es die gerechte Strafe, dass ich jetzt auch sterben werde. Und ich möchte so gerne glauben, dass ich mich dem Lukas im Himmel noch einmal erklären kann. Ich glaube an Seelenwanderung. Irgendwo auf dieser Ebene werde ich dem Lukas alles erklären können. Manchmal glaube ich das, und dann tritt manchmal für einen ganz kleinen Augenblick Hoffnung ein, die mich am Leben hält.
    Alles andere aus meinem Leben ist angesichts dieser Sache nicht wirklich erzählenswert. Ich habe Schwertransporter gefahren, immer unfallfrei. Es war anstrengend, vor allem nachts. Und im Winter war es auf den Rastplätzen saukalt. Ich wollte, dass aus Lukas etwas Besseres wird. Dass er studiert, Ingenieur oder so was wird. Kinder zeugen kann, die ich nicht zeugen konnte. Ich habe mir immer vorgemacht, dass er meiner ist. Es fällt mir sehr schwer, mich selber mit meiner Schuld anzunehmen. Die reden doch immer alle davon, dass man lernen muss, sich selber und die Dinge um einen herum anzunehmen und so. Das ist sehr schwer für mich.
    Ja, wir hatten auch schöne Jahre. Als Lukas noch klein war. Dann waren wir am Wochenende immer im Schrebergarten auf dem Land und haben Fußball im Garten gespielt. Na ja, Garten konnte man das nicht wirklich nennen, eher ein großes Beet mit Rasen. Regine war immer sauer, wenn wir beim Spiel die Margeriten und Erdbeerpflänzchen zertreten haben und sie von vorne anfangen musste mit ihrer Arbeit draußen. Das waren noch Probleme. Wie gerne hätte ich solche Probleme wieder. Ich könnte Regine um Verzeihung bitten, und die Sache wäre vorbei.
    Manfred Weigel, 61 Jahre, Leberkrebs
    verstorben im April 201*

Wenn ich an Stefan und an Gott denke , fü hle ich mic h nicht klein, und dann h abe ich auch kei ne Angst
    Ich fühle mich klein, und ich habe Angst. Das war schon immer so in meinem Leben, nicht erst jetzt. Leider habe ich es nie wirklich geschafft, dieses Minderwertigkeitsgefühl loszuwerden, obwohl ich viel dafür getan habe, es abzuschütteln. Und obwohl ich trotz meines Mankos sehr geliebt werde und mein Leben deswegen viel ärmer sein könnte. Es war wie ein Wunder.
    Jahrelang war ich ohne Partner, auch als Jugendliche hatte ich nie einen Freund. Bis ich neununddreißig Jahre alt war, wusste ich nicht, wie es ist, begehrt zu werden. Im Bibelkreis in der evangelischen Kirchengemeinde habe ich einen Mann kennengelernt, dem ich gefiel. Er war der erste und einzige Mann in meinem Leben. Unser Bibelkreis ist immer dienstagnachmittag, um 17 Uhr. Einer liest eine Stelle vor, die er ausgesucht hat, und dann reden wir alle zusammen drüber, danach gibt es ein stilles Gebet. Es war ein Jahr lang nie aufgefallen, dass ich zwar immer da war, aber nie mal selber was aus der Bibel vorgelesen habe. Ich habe immer nur geschwiegen. Weil ich stottere. Mit diesem Sprechfehler war ich schon als kleines Kind ausgestattet. Etliche logopädische Sitzungen haben nicht wirklich etwas verbessern können, nur manchmal. Es läge an meinem mangelnden Selbstbewusstsein, an meiner Angst, die ich einfach nicht überwinden könne, wurde meinen Eltern gesagt. Nicht an meiner Intelligenz oder an meiner Unfähigkeit zu lernen. Stimmt ja auch.
    An

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