Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
oben. Einmal sind sie zu uns nach Hause gekommen und haben die Pflanzen rausgerissen und mitgenommen. Sonst ist nichts passiert. Ich bin mir sicher, dass die sich damit zu Hause dann feine Joints gedreht haben. Kein Problem. Wir haben gleich wieder neue reingesteckt.
Der erste Freund meiner Tochter, den sie heiraten wollte, ist auf tragische Weise ums Leben gekommen. Er war Lichtinstallateur und hatte an einem großen Mast gearbeitet, als der umfiel. Er war sofort tot. Manchmal ist uns gar nicht bewusst, wie gefährlich das Leben sein kann. Es hätte sicher nichts geholfen, wenn seine Eltern oder auch meine Tochter zu ihm gesagt hätten: Wechsele deinen Job, der ist zu gefährlich, dabei kannst du draufgehen. Er hätte ganz bestimmt nicht auf sie gehört.
Unsere Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Wir können sie vor nichts wirklich schützen. Sie verstehen vielleicht im Kopf, was wir ihnen sagen, all diese genauso ängstlichen wie liebevollen Ratschläge wie » pass hier auf« und » tue dies nicht, denn dann könnte das passieren«. Aber die Wahrheit ist doch, dass sie alles selber lernen müssen. Im Grunde genommen können wir unseren Kindern nichts über das Leben beibringen und sie vor keinem Schmerz schützen.
Neulich hat meine andere Tochter ein Facelifting machen lassen. Sie ist Anfang vierzig. Ich habe sie gefragt: Warum um Himmels willen hast du das gemacht? Schau doch mich an mit all meinen Falten. Was soll an denen falsch sein? Dass die heutigen Frauen sich so alterslos machen, das wird ihnen noch ganz schön Probleme bereiten. Weil das äußere und das innere Alter immer weiter auseinanderklaffen. Aber hey, warum mache ich mir Gedanken um die anderen. Das werden sie schon selbst sehen.
Nach meiner zweiten Ehe hatte ich Matthew, er war ein wunderbarer Zeitgenosse. Wir haben fantastische Fahrradtouren gemacht, die ganze Küste runter, dann hatten wir ein Auto, danach sogar einen Van. Wir hatten eine super Zeit zusammen. Bis er starb, auch an Krebs. Wir kamen von einer Reise zurück, er hatte Schmerzen an der Wirbelsäule, dort saß der tödliche Tumor. Matthew wollte aber auch gehen, er war so weit. Die einzige schmerzhafte Erinnerung, die ich im Zusammenhang mit seinem Sterben habe, ist die, dass ich ihm hätte mehr zu trinken geben sollen. Er wollte nichts mehr essen, aber er wollte trinken. Ich hätte ihm öfter die Wasserschale reichen sollen.
Bei den einschneidenden Ereignissen, die im Leben so passieren, weiß man ja immer erst im Nachhinein, wofür es gut war. Dass alles, ganz gleich was, sich irgendwann für irgendetwas als richtig erweist– da bin ich mir sicher. Ich habe mich allerdings oft gefragt, warum wir das immer erst im Rückblick erkennen. Warum geht es nicht vorher, warum nicht in dem Moment, in dem es passiert? Nun, so ist es halt, das Leben. Du musst dich für das Leben entscheiden. Dann ist alles okay. Egal, was dir widerfährt.
Bitte notiere noch Folgendes: Nachdem mein Körper gegangen sein wird, möchte ich weder in einer Urne noch in einem Sarg verbleiben. Mir widerstrebt der Gedanke, in ein Behältnis gesteckt zu werden. Verbrennt mich und verstreut meine Asche im Pazifischen Ozean. Ja, so ist es richtig für mich.
Linda Goldberg, 75 Jahre, Magenkrebs
Ich fühle mich schuldig
Schuldgefühle sind die schlimmsten aller Gefühle, denn man wird sie nie wieder los. Wenn man sich verliebt, ist es mit der Liebe irgendwann vorbei, und wenn man jemanden hasst, dann kann daraus irgendwann Gleichgültigkeit werden und der gehasste Mensch wird egal. Aber bei Schuld ist das anders. Dieses Gefühl nimmt das Gewissen in Geiselhaft, und zwar für immer. Ich fühle mich schuldig. Ich habe meinem Sohn Lukas immer verschwiegen, dass er von mir und meiner Frau adoptiert ist. Und als er es mit dreiundzwanzig Jahren durch einen blöden Zufall herausgefunden hat, hat er sich umgebracht. Einen entsprechenden Abschiedsbrief hatte er mir in die Aktentasche gelegt. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich ihn entdeckte, denn normalerweise schaue ich nie in das Fach mit dem Reißverschluss, obwohl ich diese Aktentasche seit über zwanzig Jahren jeden Tag mit mir herumtrage. Jetzt trage ich nur noch Schuld mit mir herum. In den Wochen, bis ich den Brief entdeckte, war mein Schmerz unendlich groß. Aber Regine und ich hatten Interpretationsspielraum bei der Frage nach dem Warum. War es wegen der Schule, wo er keine Freunde fand? Weil er immer schlechte Noten mit nach Hause brachte– wenn
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