Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
bringt nichts. In diesem Zustand kann ich ja erst recht nichts mehr leisten.
Harald Escher, 88 Jahre
Eine Harley kaufen und damit durch die Freiheit brausen, wie durch einen Wind
Eigentlich dachte ich immer, mein Leben wäre schwer. Wegen des Geldes. Ich habe immer mehr ausgegeben, als ich hatte. Das ging schon in meiner Jugend los, ständig musste ich meinen Onkel anpumpen oder meine Kumpels. Meinem Onkel musste ich dann auch nie was zurückzahlen. Immer, wenn ich mit einem schlechten Gewissen ankam und beichten musste, dass ich noch nicht zahlen kann, hat er gesagt: Lass mal gut sein, Ronnie. Dein schlechtes Gewissen ist Strafe genug. Die Kohle kommt schon irgendwie wieder rein.
Ich bin mir gar nicht sicher, ob man lernen kann, mit Geld umzugehen. Ich meine damit nicht, einen Beruf rund um das Geld zu erlernen, sondern im Alltäglichen. Ich kann doch nicht bei jedem Supermarktgang durchrechnen, ob ich mir jetzt diese Gurke oder diesen Schinken noch leisten kann. Einmal habe ich im Supermarkt Steaks geklaut. Mir die Dinger an der Fleischtheke geben lassen, dann das Päckchen in den Einkaufswagen gelegt, um die Ecke in den Backwarengang gerollt und das Fleisch in die Tasche gesteckt. Als ich die Filets zu Hause den Freunden und mir zubereitet habe, musste ich feststellen: Es hat mir nicht geschmeckt. Denn mein schlechtes Gewissen war in jedem einzelnen butterzarten Stück drin, das ich mir abgeschnitten habe. Daraufhin habe ich nie wieder irgendwo etwas geklaut, nicht das Kleinste– ich kann es einfach nicht. Lieber habe ich ein Leben lang andere angepumpt.
Wie gesagt, das hat mich immer ziemlich belastet, dass ich nie genug Geld hatte. Das hat ja auch Auswirkungen auf Beziehungen und Freundschaften. Mein Freund hat immer mehr verdient als ich, und ich habe ihm auch gleich am Anfang unserer Liebe gesagt, wie es an der Stelle bei mir aussieht. Ich fand es immer wichtig, in einer Beziehung übers Geld zu reden. Dass sich keiner ausgenutzt fühlt. Uwe hätte das bei mir ja nun wirklich denken können. Eigentlich alle meine Freunde.
Uwe hat mich irgendwann zum Schuldenberater bei der Caritas geschickt, als auch er genug von meiner Klagerei hatte. Die haben mir dann auch tatsächlich geholfen. Frau Meier machte mir einen genauen Plan, wie viel ich im Monat fürs Essen, für Zeitungen und Zeitschriften und für Benzin ausgeben darf. Sie hat mir sogar einen schönen blauen Taschenrechner geschenkt. Seitdem wurde es etwas besser.
Dass allerdings permanente Geldnot nicht das Belastendste ist, das einem im Leben so passieren kann, das wurde mir erst klar, als ich krank wurde. Natürlich hat jeder so seine kleineren und größeren Sorgen, Konflikte am Arbeitsplatz, Ärger mit dem Nachbarn, schwierige Eltern. Aber krank sein, irgendwann sterbenskrank, so wie ich jetzt, das ist einfach nur grauenvoll. Das schöne Leben ist von heute auf morgen weg. Und ich wünsche mir alle Probleme zurück, die ich vorher hatte, wenn ich dafür nur nicht mehr krank wäre. Die Abhängigkeit von anderen ist das Übelste dabei. Daran kann ich mich bis heute nicht gewöhnen. Manchmal denke ich, es ist noch schwieriger, die Abhängigkeit akzeptieren zu lernen, als das Sterben akzeptieren zu lernen.
Ich hätte gerne mehr gesehen von der Welt, wäre gerne mehr in ferne Länder gereist. Muss ich jetzt wirklich diese Welt verlassen, ohne je in Australien gewesen zu sein und dort echte Kängurus gesehen zu haben? Unvorstellbar. Ich habe immer noch Hoffnung, dass ich bald wieder aufstehen kann. Und ich wollte auch noch ein Holzhaus bauen. Die Alpen überqueren. Eine Harley kaufen und damit durch die Freiheit brausen, wie durch einen Wind. Davon habe ich immer geträumt. Davon träume ich auch jetzt noch.
Ronald Wagner, 55 Jahre, Magenkrebs
verstorben im April 201*
Ich glaube, wir haben heute Donnerstag
Als ich ein Baby war, hat man mich von Rumänien nach Detroit, USA , gebracht. Meine Eltern hatten das veranlasst. Wir waren verfolgte Juden. Ich spreche kein einziges Wort der rumänischen Sprache, das ist eigentlich schade. So habe ich auch keinerlei Bezug zu meinem Herkunftsland, ich habe dort keine Wurzeln und war auch bis heute nie dort. Meine Eltern hatten keinen Sinn dafür, mir die Sprache beizubringen. Sie mussten sich um unser Überleben kümmern. Ich kann nur Englisch.
Trotzdem habe ich aus meinem Leben das Beste herausgeholt. Ich glaube sogar, dass dies Menschen wie mir einfacher fällt als anderen. Wenn man mal in einer
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