Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
seien Schatten auf der Leber, ich hätte Leberkrebs. Wir haben früher immer so dumm gesprochen, es steht alles im Goldenen Buch, was einem passiert. Aber so ist es, man kann planen– und dann kommt alles anders.
Ich gehe jetzt jeden Sonntag in die Kirche. Aber nicht weil ich in der Krebssituation an den lieben Gott denke, das ist sowieso alles vorbei, sondern weil die Pastorin so nett ist. Die redet nicht vom Himmel und vom lieben Gott, sondern sie spricht davon, wie man die Krankheit durchhält und wie man sich damit abfindet. Man sollte nicht nachfragen, warum, sondern besser sagen, das ist Schicksal. Das stimmt. Bloß, die anderen, die da sitzen, sind alle achtzig und neunzig Jahre und ich bin einundsiebzig. Also, das Einzige, was mir wirklich fehlt, wären noch sechs schöne, freie Jahre, die hätte ich gerne noch gehabt. Vielleicht erhole ich mich ja auch und komme noch mal hier raus.
Dann würde ich wieder mit meinen schönen Spaziergängen durch Berlin anfangen. Bisschen rausfahren, bisschen bummeln, mal schön essen gehen. Nichts Aufregendes, einfach mein ruhiges, normales Leben weiterführen. Und ich könnte wieder frei sein. Das Umfeld hier im Heim ist schon schön, aber du bist nicht selbstständig. Hier wird ja alles geplant für dich. Und das bin ich nicht gewohnt, ich habe fünfzig Jahre alleine gelebt.
Ich konnte gut alleine leben, schon als Kind habe ich nie von einem Mann oder von Kindern geträumt. Das war bei mir auch nicht realisierbar, ich bin immer an die falschen Männer gekommen. Der eine war ein Trinker, der andere ein Blender, und der dritte hatte Schulden bis zum Gehtnichtmehr. Ich war zwar mal verlobt, aber ich hab dann gedacht, das mach ich nicht mit, so ein Leben. Wenn jeder nur seins macht und keiner weiß was vom anderen, das ist doch keine Ehe. Ab dreißig habe ich mir das Verliebtsein abgewöhnt, ich bin sowieso eher ein Kopfmensch. Solche Jubelstürme wie andere, die dann sagen, hach, heute bin ich aber happy, kenne ich also gar nicht. Auf der anderen Seite aber auch keine Dispute und Trennungen. Ich hatte nie den Eindruck, irgendwas versäumt zu haben. Im Bekanntenkreis habe ich die Scheidungen mitgekriegt, und hier sehe ich, dass nur die wenigsten von ihren Kindern besucht werden.
Mein Bruder kommt auch manchmal mit seinen Kindern, dabei sag ich immer, lass das, ich brauche das eigentlich gar nicht. Wenn sie dann wieder nach Hause in ihre Wohnung gehen, ist das nämlich wieder etwas, das ich nicht kann. Und das stört mich. Aber vielleicht bin ich ja doch noch nicht auf dem letzten Schiff und ziehe noch mal in eine eigene Wohnung. Meine monatliche Rente würde auch reichen, und das Geld von meiner Sterbeversicherung würde wachsen. Vor drei Jahren hatte ich sie für mein Urnenbegräbnis abgeschlossen. Sobald ich gestorben bin, kriegt derjenige, der mich unter die Erde bringt, die dreitausend Euro. Wo und wie sie mich dann begraben, ist mir egal. A uf dem Friedhof, im Wald, wo sie Platz haben.
Nicht egal ist mir, wie es jetzt mit mir weitergeht. Vielleicht ist es ja doch kein Leberkrebs, denn ich verstehe nicht, warum ich das Essen nicht mehr halten kann, obwohl mein Magen vollkommen in Ordnung ist. Das könnte etwas anderes sein. Ich möchte noch mal rausfahren und das machen, was ich will. So wie ich es in der Rente gemacht habe. Man kann ja träumen.
Katharina Zeller, 71 Jahre, Leberkrebs
Wenn ich mir so ansehe, wie das Leben vo n anderen verläuft, da nn hatte ich doch großes Gl ück
Ja, ich bin im Großen und Ganzen zufrieden mit dem, was ich erschaffen habe. Vor allem bin ich froh, dass ich nie Schulden gemacht habe. Und wenn, dann habe ich den Kredit immer in Raten und pünktlich abbezahlt. Als Lotte eine neue Waschmaschine haben wollte, als wir ein Auto gekauft haben und einmal auch eine neue Wohnzimmergarnitur: Immer habe ich die Raten am Monatsende überwiesen. Mit dem Geld sind wir immer irgendwie hingekommen. Was ich erschaffen habe und jetzt hinterlasse, das sind eine Gartenlaube und ein Zirkuswagen. Beides habe ich selber zusammengebaut. Im Zirkuswagen habe ich mit den Kindern gespielt, als sie noch klein waren. Ich war immer der Clown, und die Kinder waren der Tiger oder der Elefant. Ach, das waren noch Zeiten. Alles so unbeschwert und leicht. Wisst ihr noch? Wir haben viel gelacht. Ihr habt allerdings auch genau gemerkt, wenn ich nicht so gut drauf war. Obwohl ich das als Clown ja immer gut kaschieren konnte. Ihr habt es aber trotzdem durch meine rote
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