Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
macht mir mein Baum in meinem Garten. Ich habe ihn selbst gepflanzt. Manchmal habe ich solche Ideen, ich säe irgendwas ein, Zwetschgen- oder Dattelkerne, und schaue, ob etwas dabei herauskommt. Bei diesem Baum hatte ich vergessen, was für einen Kern ich gepflanzt hatte. Nach einiger Zeit wuchs daraus ein Strauch, der rosarote Blüten hatte. Da glaubte ich, er sei eine japanische Zierkirsche. Und selbst als so kleine Früchte kamen, war ich mir noch nicht sicher, was für ein Baum er ist. Ich dachte, es kann eine Aprikose sein oder auch ein Pfirsich. Fünf Jahre hat es gedauert. Dann hat er viele Früchte getragen, Nektarinen, sie waren sehr gut. Heuer hat er besonders aromatische Früchte gehabt. Das ist einfach eine Freude, wenn man etwas pflanzt und später wird daraus ein Obstbaum.
Ich liebe Pflanzen. So wie bei den Kernen, die ich einsetze, festgelegt ist, was für ein Baum einmal daraus werden kann, bin ich der Meinung, dass jedem Menschen sein Leben bei der Geburt vorgeschrieben ist, zu einem großen Teil jedenfalls. Aber zu einem anderen Teil hat man es selbst in der Hand, was man aus seinem Leben macht. Nach Kriegsende wusste ich nicht, wie es mit mir weitergehen würde. Mein Vater war im Krieg gefallen, und meine Mutter war bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Ich habe ein Kleid und ein Paar Schuhe gehabt, sonst nichts. Entweder man zerbricht daran oder man lebt. Ich hatte mich entschieden zu leben, egal wie, ich wollte nicht untergehen. Ich habe dann zuerst von der Hand in den Mund gelebt. Fremde Menschen haben mir oft geholfen. Ohne dass ich danach fragen musste, gaben sie mir ein Stück Brot und eine Tasse Milch. Später habe ich dann einfach irgendwas gemacht, um zu funktionieren. Zuerst habe ich beim amerikanischen Rundfunksender gearbeitet, dann bei der Münchener Sternwarte und später war ich Abteilungsleiterin in einem Schuhkonzern. Vielleicht hätte ich mehr aus mir machen können, aber ich bereue nicht, dass ich es nicht getan habe. Wichtig war, dass ich finanziell über die Runden kam.
Ich kümmere mich gern um meine Pflanzen. Mein Baum kriegt Wasser und Naturdünger von mir, und ich spreche auch mit ihm. Ich hab mich heuer bei ihm bedankt, weil er doch so viele Früchte gehabt hat. Vielleicht freut er sich ja auch an mir und nicht nur ich mich an ihm! Falls unser Hausmeister ihn nicht kaputt schneidet, wird mein Baum mich überleben. Doch ich glaube, dass ich nach dem Tod irgendwann wiederkomme. Das beobachte ich in der Natur ja auch. Im Herbst wirft der Baum Blätter ab, der Stamm behält das Chlorophyll, und damit stirbt der Baum im Winter nicht. Er scheint nur tot zu sein, einen Ast kann man dann leicht abbrechen. Aber im Frühling fängt er wieder an zu leben, es sprießen neue Blätter, und er trägt Früchte. Ich bin Esoterikerin und übertrage deswegen diesen Ablauf auch auf mich. Ich sterbe, und ich stehe irgendwann wieder auf, als was, das weiß ich noch nicht. Als Tier, Pflanze oder Mensch. Mein Sohn lebt auch in irgendeiner Weise, er ist zwar schon gegangen, aber trotzdem ist er noch da. Ich spüre ihn jeden Mittag. Da sitze ich in meinem Stuhl und schlafe ein bisschen. Auf einmal werde ich wach und denke, mein Gott, ich muss Hans ja noch die Medikamente geben. Sieben Jahre lang hatte ich ihn gepflegt. Er hatte Darmkrebs, wie mein Mann. Gestorben ist er im Alter von 59 Jahren. Aber jetzt ist er wieder da.
Heute sind wieder ein paar Blätter von meinem Baum gefallen. Mal schauen, ob er nächstes Jahr wieder so viele Früchte trägt wie heuer.
Ursula Rackwitz, 87 Jahre
Das ist die große Selbstlüge, d er ich zeit meines Lebens aufgesesse n bin
Wenn ich mein Leben noch mal leben könnte, würde ich alles anders machen. Diesen Satz sagen nur unzufriedene Menschen, werdet ihr euch denken. Das ist richtig. Ich bin unzufrieden mit mir. Und wenn ich gewusst hätte, dass es jetzt schon so früh vorbei ist mit meinem Leben, dann erst recht. Denn warten wir nicht alle immer darauf, dass es besser wird? Besser wird in der Arbeit, wo einen schon seit Jahren der Chef nervt, besser wird in der Ehe, obwohl man schon seit Jahren nicht mehr miteinander schläft? Das heißt ja nicht, dass man den Job wechseln oder sich scheiden lassen sollte. Es heißt vielmehr, dass man die Dinge aus sich selber heraus anpackt und zum Besseren wendet. Statt zu hoffen, dass alles von alleine besser wird. Und alles Missliche auf die anderen oder auf die Umstände zu schieben. Statt sich so
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