Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Sterben und vor dem Nichts. Ich würde gerne glauben, dass die Existenz nach dem Tod irgendeine andere Bewusstseinsebene einnehmen würde, sodass das sogenannte Ich in irgendeiner anderen Form losgelöst von den körperlichen Qualen weiter existiert. Aber das ist eigentlich ein Wunsch, ein Traum.
Ich weiß, dass meine ganzen Fluchtversuche, auch der Weggang von Berlin in ein ruhigeres Umfeld nichts gebracht haben. Seit fünf Jahren bin ich frühverrentet . A m meisten Freude macht mir, Musik zu machen. Ich habe hier ein kleines Tonstudio, und wenn die Kraft zu singen da ist, habe ich Spaß dran. Es wäre schön, wenn ich mit meinen Texten den einen oder anderen zum Nachdenken über die Zustände auf der Welt anregen könnte.
Auch wenn meine Schmerzen manchmal so groß sind, dass ich lieber gehen würde, möchte ich trotz allem leben. Ich wünschte mir, dass es Orte gäbe, an denen chronisch kranke und alte Menschen noch ein paar stressfreie Jahre mit allen Annehmlichkeiten und jenseits von Einsamkeit verbringen könnten. Aus meiner Sicht gibt es kaum jemanden, der sich nicht ambivalent mit dem Selbstmord auseinandersetzt. Jeder würde lieber weiterleben, denke ich, außer vielleicht ganz alte oder kranke Leute, die sagen, ich habe genug. Kurioserweise hänge ich am meisten im Leben an diesem undefinierbaren Ich, vielleicht weil ich es nicht greifen kann.
Thomas Meister, 43 Jahre
Und im Nachhinein dachte ich, wa rum hast du das wieder gemacht?
Ich habe immer gesagt, Marianne, du kommst mal in den Himmel, weil du so gutmütig bist. Da haben sie alle immer gemeint, stimmt, du kommst in den Himmel. Du hast dich immer an die ganze Welt verschenkt. Dabei habe ich das hinterher immer so bereut. Ich bekochte meine Freunde, wusch deren Wäsche, die durften bei mir wohnen, ich habe ihnen Geld gepumpt. Und im Nachhinein dachte ich, warum hast du das wieder gemacht? Die Männer sind zwar ganz lieb gewesen, aber die haben mich richtig ausgenutzt, und das Geld habe ich auch niewiedergekriegt. Trotzdem war ich beim nächsten Mann wieder so, weil ich zu gutmütig war im Leben. Dafür kommst du in den Himmel, Marianne, das war dann immer meine Ausrede.
Meine Tochter ist genauso. Wir beide sind auf einem anderen Stern geboren. Dabei warne ich sie jetzt noch: Heirate nie wieder! Du warst doch schon zweimal verheiratet, musst du jetzt das dritte Mal wieder heiraten. Man weiß ja nicht, wie das mit den Typen noch endet. Mein Mann hatte sich an einer Lampe aufgehängt. Im Suff, der ist Alkoholiker gewesen. Meine Ehe war eine Hölle, einundzwanzig Jahre lang. Nur das erste Jahr, als wir geheiratet hatten, war ich happy. Verheiratet zu sein, sagen zu können » mein Mann«, wie man dann halt so angibt. Aber nachher, als der anfing zu trinken, war nichts mehr. Ich konnte mich nicht scheiden lassen, weil er gesagt hatte, wenn ich dich mal mit einem anderen Mann sehe, mache ich euch kalt. Wenn er betrunken war, randalierte er so lange an meiner Wohnungstür, bis ich aufmachte. Wenn man es so sieht, hat mir meine Tochter das Leben gerettet. Denn solange sie bei mir lebte, hat er sich nicht getraut, einen von uns anzufassen.
Meine Tochter war sowieso das, was mich im Leben glücklich gemacht hat. Dass ich mich nach meinem Mann nie wieder richtig auf eine Beziehung eingelassen habe, hieß nicht, dass ich wie eine Tränentüte zu Hause rumgesessen bin. Meine Tochter war viel mit mir unterwegs, wir haben super gegessen, an der Mönckebergstraße meistens, Fisch bei Nordsee oder so, waren im Kino, Klamotten kaufen, wegen unserer Ähnlichkeit wurden wir immer für Schwestern gehalten. In den Kaufhäusern habe ich immer was gefunden. Schuhe, eine Handtasche, zumindest Ohrringe mussten sein. Oder etwas für meine beiden Enkelkinder, auf die ich sehr stolz bin. Das konnte ich mir nachher, wo ich alleine war, alles gut leisten. Ich habe bei Beiersdorf gearbeitet, wo ich Cremedosen in einen Karton zusammenpackte. Es hat alles super geklappt, es lag halt nur alles auf meinen Knochen, denn von meinem Mann kriegte ich keinerlei Unterstützung. Vielleicht bin ich deswegen jetzt auch so krank. Es kann sein, dass der Krebs damals schon gewuchert hat, was weiß ich.
Ich möchte gerne, dass ich in den Himmel komme. Und das werde ich, glaube ich, auch. Du warst immer die Beste, du hast immer gegeben. Ich hoffe, dass es mir gut geht, wenn ich mal tot bin. Ich habe meiner Tochter schon gesagt, dass ich im Wald unter einem Baum beerdigt werden will, ganz
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