Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
einfach, nur mit einem Schild am Baum. Ich habe mir auch weder ein besonderes Lied noch ein ausgefallenes Kleid gewünscht, das kann sie sich aussuchen. Damit meine Tochter nicht ganz mittellos dasteht, wenn sie meinen Sarg kauft, habe ich einen Sparvertrag für die Beerdigung abgeschlossen. Denn an Geld werden meine Tochter und meine Enkelkinder leider nichts erben. Ich hatte ihnen schon vorher alles geschenkt.
Marianne Özkan, 72 Jahre, Krebs
verstorben im Februar 201*
Die Seele muss aufgeräumt sein, da s ist eigentlich das Wic htigste
Was mich innerlich am meisten angetrieben hat, war, Grenzwertigkeiten auszuloten. Wie weit komme ich im Umgang mit einer fremden Kultur, wo ist die Grenze. Insofern würde ich mich als Grenzgänger bezeichnen, so in der Art vom Bergsteiger Reinhold Messner, nur in einem anderen Bereich. Ich war freischaffender Architekt und wurde als Bauforscher von verschiedenen Organisationen zu Ausgrabungsplätzen ins Ausland geschickt. Meistens für drei, vier Monate, nach Afghanistan, Jemen, Sudan oder in den Tschad.
An den Ausgrabungsplätzen säuberten meine Mitarbeiter und ich einzelne Bauteile, beschrieben und glasierten sie. Einmal gab es eine riesige Aufregung, weil die Grabungsarbeit eingestellt werden sollte. Da ich dafür bekannt bin, da weiterzumachen, wo andere aufhören, beauftragte man mich, den Arbeitgeber von einer Weiterführung der Grabungsarbeit zu überzeugen. Ein Scheich hatte uns zum Essen eingeladen. Der Raum war riesig, es gab einen Diwan und eine durchgehende Sitzbank, auf der überall Kissen verteilt waren. Dann hielt ich eine Rede, in der ich die arabische Geschichte und die arabisch-deutsche Freundschaft ansprach. Alle waren so begeistert davon, dass die Grabung weiter beauftragt wurde. So kommt man mit einer fremden Kultur klar, sich nicht aufblasen, sondern auf den anderen eingehen und ihn verstehen. Viele haben gesagt, das ist ja nicht zum Aushalten, der Dreck im Ausland und die Schwierigkeiten mit den Leuten dort, aber gerade dieses Ausprobieren, was kann ich erreichen, wie weit kann ich gehen– das hat mir immer wieder Spaß gemacht.
Eigentlich bin ich ein positiv denkender Mensch, der meint, dass Probleme angegangen werden können und lösbar sind. Die dazu nötige Gelassenheit und Ruhe habe ich von der muslimischen Kultur gelernt. Aber im Falle meiner Frau hilft mir diese Strategie zurzeit leider auch nicht weiter. Wir haben zweiundvierzig Jahre lang ein schönes Leben gehabt, und plötzlich steigt sie aus und wird verrückt. Chronische Schizophrenie, sagen die Ärzte. Damit man helfen könnte, müsste meine Frau ihre Krankheit anerkennen, aber das tut sie nicht. Das Einzige, was ich machen kann, ist offen darüber zu reden, obwohl das schwerfällt. Wir haben einen großen Bekanntenkreis, und überall muss ich immer wieder davon erzählen. Aber es hat keinen Sinn, ihre Situation zu verschweigen oder schönzureden.
Auch mit meiner Krankheit gehe ich bewusst und ruhig um. Ich habe einen Gehirntumor im Endstadium, und es kann sein, dass ich übermorgen, in einem halben oder in einem Jahr sterbe. Dass ich keinen » Termin« habe und nicht weiß, wie der Tod stattfinden wird, macht mir ein wenig Angst. Ich weiß nur, dass ich jetzt mein Leben zu ordnen habe. Zufälligerweise hatte ich das schon vor ein paar Jahren gemacht, als ich mich daran erinnerte, wie ich nach dem Tod meiner Mutter vor vollen Schränken stand und keinen Durchblick hatte. Das wollte ich meiner Tochter nicht zumuten und habe angefangen, meine Akten und Ordner durchzusehen und den ganzen Mist wegzuschmeißen. Sie war begeistert.
Ich glaube, dass man in seinen Kindern weiterlebt und in den Ideen, die man ausgerichtet hat. Gerne hätte ich noch zehn Jahre länger gelebt. Ich habe meiner Tochter versprochen, nach meiner Behandlung auf die Osterinseln zu fahren, diese fantastisch fremde Welt. Und durch Deutschland würde ich gerne fahren, von Norden bis Süden, um alle meine Freunde noch mal zu besuchen. Man glaubt es nicht, aber ich habe wenig Zeit hier im Hospiz, viele Freunde aus der ganzen Welt rufen an und wollen mich noch mal sehen. Das ist schön, und da denke ich, dass meine Ideen und Auffassungen doch richtig waren. Die Seele muss aufgeräumt sein, das ist eigentlich das Wichtigste. Dass man mit seinem Partner in Frieden lebt, Probleme versteht und sich einlässt auf andere Menschen.
Wilfried Nickel, 68 Jahre
Heute sind wieder ein paar Blätter vo m Baum g efallen
Große Freude
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