Dieser Sonntag hat's in sich
komm mit nach oben. Ich muß dich in diese beiden Fälle
einführen.«
Auf dem Weg in mein Büro haderte ich mit
mir, weil ich genauso geklungen hatte wie meine Mutter. Nun, nicht ganz so — meine
Mutter hätte noch gesagt, sie solle den Mantel aufhängen, ihre Haare kämmen und
sich die Hände waschen.
5
Diesmal saß der obdachlose »Türwächter«
nicht auf der Treppe im Eingang zu Rudy Goldrings Firma; also ging ich einfach
hinein. Als ich auch in Goldrings Büro niemanden vorfand, rief ich auf dem Flur
seinen Namen. Eine grauhaarige Frau in einem gestreiften Kittel, dessen Revers
mit Nadeln gespickt war, kam aus dem hinteren Zimmer.
»Sie sind sicher die Frau, die heute
morgen angerufen hat«, sagte sie. »Er ist immer noch nicht da. Ich bin Mrs.
Halvorsen, seine Büroleiterin. Kann ich Ihnen helfen?«
»War er denn heute überhaupt schon da?«
»Nur heute früh, ein oder zwei Stunden,
er ist schon vor zehn weggegangen. Er hat gesagt, er sei verabredet.« Sie hielt
inne, runzelte die Stirn und spielte mit den Nadeln. »Und das ist komisch — normalerweise
ruft er an. Er hat eine Anprobe mit einem neuen Kunden verpaßt, die für ein Uhr
angesetzt war, und erste Anproben sind Mr. Goldring wichtig. Er macht daraus
immer ein feierliches Ereignis.«
»Vielleicht hat er sich nicht wohl
gefühlt und ist nach Hause gegangen.«
»Sein Zuhause ist hier, oben im ersten
Stock. Er hätte mir Bescheid gesagt. Außerdem habe ich versucht, ihn oben
anzurufen, als der neue Kunde kam. Er hat sich nicht gemeldet, und er war auch
nicht in der Fabrik.«
»Wissen Sie, mit wem er verabredet war
und wo?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Na ja, er wird schon wieder
auftauchen. Würden Sie ihn bitten, mich anzurufen, sobald er kommt?« Ich gab
ihr meine Karte und ging zurück in Richtung Ausgang.
In der Eingangshalle blieb ich stehen
und sah ärgerlich und ratlos auf die Tür, die zu der oberen Wohnung führte.
Vielleicht war Rudy Goldring jetzt zu Hause; die Frau hatte nur gesagt, sie
habe ihn einmal angerufen, und das vor etwa drei Stunden. Ich wollte gerade auf
die Klingel drücken, als die Tür aufflog und eine große Gestalt in einem
Regenmantel herausstürzte und in mich hineinrannte.
Ich stolperte nach hinten und griff
nach der Person, um nicht die Treppe hinunterzufallen. Es war eine Frau in
meinem Alter mit leuchtend kastanienfarbenem Haar, das sich auf ihrem Kopf
türmte. Ihre feinen Gesichtszüge — gerade, zarte Nase, hohe Wangenknochen, voller
Mund und ungewöhnlich große blaue Augen — waren schön, aber jetzt
angstverzerrt. Sie starrte mir wild ins Gesicht und auf meine Hand, mit der ich
mich an ihrem Unterarm festklammerte. Dann versuchte sie sich frei zu machen.
Ich hielt sie fest.
»Was ist los?« fragte ich. »Was ist
passiert?«
»O Gott!« Ihre Zähne klapperten; sie
legte eine Hand an die Wange, als könnte sie damit das Klappern stoppen.
»Was ist los? Ist etwas mit Mr.
Goldring?«
»O Gott!« Nun umklammerte sie meinen Arm. Ihre Finger bohrten sich schmerzhaft in mein Fleisch. »Sie kennen ihn, Sie
müssen ihm helfen!«
»Wo ist er? Zeigen Sie mir den Weg.«
Sie warf einen panischen Blick auf die
Straße, und ich war darauf gefaßt, sie an einem weiteren Fluchtversuch hindern
zu müssen. Dann schaute sie auf die offene Eingangstür zurück. »Da... da
oben... in der Küche.«
»Bringen Sie mich zu ihm.«
Wortlos führte sie mich mit gebeugtem
Kopf und hängenden Schultern ins Haus hinein und die steile Treppe hinauf. Die
obere Wohnung war genauso gestrichen und ausgelegt wie die Büros unten. Im
vorderen Teil befand sich das Wohnzimmer, für das man wahrscheinlich die Wand
zwischen zwei kleineren Zimmern herausgerissen hatte; das doppeltverglaste
Erkerfenster war voll von hängenden Farnen. Die Frau ging am Schlafzimmer und
Bad vorbei in den hinteren Teil der Wohnung. Am Ende des Flurs lag eine
altmodische Küche — wie wir sie auch bei All Souls haben, mit einem
schwarzweißen Linoleumfußboden, einem Ausguß mit einem Abtropfbrett und einem
schwarzen Eisenungetüm von Gasherd.
Rudy Goldring lag auf dem Rücken vor
dem Herd, mit weit ausgebreiteten Armen. Es sah aus, als sei er gestürzt und
habe sich den Kopf an einem der geschwungenen Beine angeschlagen.
Ein nervöses Prickeln lief über meine
Haut; ich kniete neben ihm nieder, griff nach seinem Handgelenk und versuchte
seinen Hemdsärmel hochzuziehen, um seinen Puls zu fühlen. Das Hemd hatte
französische Manschetten, die mit
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