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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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goldenen Manschettenknöpfen zugehalten
wurden. Während ich einen öffnete, betrachtete ich sein blutleeres, bleiches
Gesicht, dann sah ich, daß Blut von seinem Kopf auf das Linoleum gesickert war.
Es war schon fast trocken. Schließlich hatte ich den Manschettenknopf entfernt
und ergriff sein Handgelenk. Sein Fleisch war kalt, und sein Körper wurde schon
steif; die Totenstarre setzte ein. Rudy Goldring war schon seit mehreren
Stunden tot.
    Ich ließ sein Handgelenk los und
schaute die Frau an. Sie hatte sich an den alten Kühlschrank gelehnt und
beobachtete mich mit Entsetzen in den Augen; ihre Hände hatte sie vor den Mund
gepreßt. Als sie in meinem Gesichtsausdruck die Bestätigung las, gab sie einen
wimmernden Laut von sich, und ihre Knie gaben nach. Hastig erhob ich mich und
ging zu ihr hinüber, drehte sie von dem Toten weg und schob sie in Richtung
Flur. Sie klapperte wieder mit den Zähnen und zitterte am ganzen Körper; schwer
lehnte sie sich gegen mich. Als ich sie jetzt den Flur entlangführte, begann
ich selbst zu zittern.
    Im Wohnzimmer setzte ich sie in einen
Lehnsessel. Sie legte ihre Hände nebeneinander und starrte auf sie herab; sie
zitterten heftig. Dann schaute sie mich an. In ihren ungewöhnlich blauen Augen
standen Tränen, sie ließ den Kopf sinken und zwang ihre bebenden Hände
ineinander. »Er ist... tot?«
    »Ja, seit ein paar Stunden.«
    Sie gab einen eigentümlichen Laut von
sich — halb Schluchzen, halb Seufzer. Ich schaute auf ihren Kopf hinunter, auf
das locker zu einem kunstvollen Zopf verschlungene Haar. Einige Strähnen hatten
sich gelöst und hingen herab, was sie zerzaust aussehen ließ und hilflos.
    »Sind Sie in Ordnung?« ‘
    »Ich... ja... nein. O Gott, ich habe
immer befürchtet, daß es soweit kommen würde.«
    »Sie meinen Mr. Goldrings Tod?«
    Sie schwieg.
    »Meinen Sie das?«
    Keine Antwort. Ich suchte in dem
Zimmer, in dem im Gegensatz zu Goldrings Büro peinliche Ordnung herrschte, nach
einem Telefon. Es stand auf einem Abstelltisch neben dem Sofa.
    Die Frau hob den Kopf. Ihre Stimme
klang beunruhigt. »Was machen Sie da?«
    »Ich rufe die Polizei.«
    »Nein!« Sie stand auf, kam auf mich zu,
drehte sich dann um und lief zur Treppe.
    »Kommen Sie zurück! Sie haben Mr.
Goldrings Leiche gefunden; Sie können doch nicht einfach weglaufen...«
    »Bitte!« Sie drehte sich um und suchte
am Geländer Halt. Sie war kalkweiß gewesen, doch nun breitete sich vom Nacken
her eine hektische Röte — fast wie ein Ausschlag — über ihr Gesicht aus. »Das
verstehen Sie nicht. Wenn das bekannt wird, wenn mein Name in der Zeitung
steht. Das darf nicht sein, besonders nachdem...« Und dann hetzte sie die
Stufen hinunter.
    Ich rannte ihr nach, aber sie war
schneller und hatte zuviel Vorsprung. Als ich die Vortreppe erreichte, sprang
sie gerade in einen weißen BMW, der etwas weiter die Straße hinunter parkte.
Ich erhaschte gerade noch einen Blick auf das Kennzeichen — 1 GDJ 326 — , als
sie von der Stillman-Street auf die Third Street abbog.
    »Eins, GDJ, drei, zwei, sechs«, sagte
ich laut. Es klang wie ein Fluch. Auf dem Weg zum Haus zurück wiederholte ich
die Zahlen und Buchstaben immer wieder, bis ich meine Handtasche fand und das
Kennzeichen aufschreiben konnte. Die Handtasche lag auf der Küchenablage;
komisch, ich konnte mich nicht erinnern, sie dort liegengelassen zu haben. Ich
ergriff Sie, ohne Rudy Goldrings Leiche anzuschauen, und machte mich auf den
Weg ins Wohnzimmer, um zu telefonieren.
    Aber auf halbem Weg zur Tür stach mir
etwas ins Auge: ein abgetragener, verzierter Lederbeutel mit Fransen, wie ich
ihn zuletzt bei Bob, dem obdachlosen »Türwächter«, gesehen hatte. Der Beutel
lag auf dem Boden vor dem Spülbecken, nur ein paar Zentimeter von der Leiche entfernt.
     
    Der Leiter der Mordkommission, der den
Anruf entgegennahm, hieß Gallagher, Ben Gallagher. Ich kannte ihn seit langem.
Als ich ihn kennengelernt hatte, war er ein eulenähnlicher, etwas unbeholfener
junger Mann gewesen, der mich heftig — aber wortlos — anhimmelte. Eine Zeitlang
hatte er bei der Abteilung Sitte und Einbrüche gearbeitet und war dann wieder
zur Mordkommission zurückversetzt worden; er hatte immer noch Ähnlichkeit mit
einer Eule, was hauptsächlich auf seine Nickelbrille zurückzuführen war, aber
die Unbeholfenheit war verschwunden. Vermutlich bewunderte er mich immer noch,
denn seine Augen leuchteten auf, wenn er mich sah, aber sein Schweigen hatte
nun einen Grund — er

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