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Dieser Sonntag hat's in sich

Dieser Sonntag hat's in sich

Titel: Dieser Sonntag hat's in sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Ihre Schuld wäre.«
    »So ist er nun einmal, er lehnt jede
Verantwortung ab. Hal glaubt, daß alles, was in seiner Kindheit schiefging, die
Schuld seiner Mutter war. Es ist leichter, ihr die Schuld zu geben als Harlan,
denn sie ist tot und kann sich nicht mehr verteidigen. Als er älter wurde,
waren es die Lehrer, die Professoren, die Freundinnen, die Arbeitgeber. Und
dann ich.«
    Ich spielte eine Weile mit meinem Glas.
Ihre Ruhe beunruhigte mich. Ich kenne diese Reaktion von anderen Opfern — von
Überfällen, Diebstählen, Mordversuchen. Sie neigen dazu, sich von dem Ereignis
zu lösen, so unbeteiligt davon zu erzählen, als wäre das alles jemand anderem
passiert. Ich fragte mich, ob Irenes Therapie wirklich soviel geholfen hatte,
wie sie behauptete.
    »Wie konnten Sie nach der
Vergewaltigung weiter unter dem gleichen Dach mit ihm leben?«
    »Das tat ich nicht. Wissen Sie, Hal reiste
ab. Er hatte nicht gewollt, daß es so weit kam. Er hatte Angst, daß ich zu
seinem Vater oder zu Frank gehen würde. Also erfand er die Geschichte von einem
Kollegen, der dringend Hilfe in seiner Tierarztpraxis brauchte, und reiste am
nächsten Tag ab. Ich war sowieso nicht in der Lage, irgendwohin zu gehen. Ich
schlief kaum, und wenn ich schlief, hatte ich Alpträume. Ich weinte viel und
hatte grundlos Wutanfälle. Ich konnte mich nicht konzentrieren und vergaß viel.
Oft hatte ich das Gefühl, wie hinter einer Glasscheibe zu leben. Ich konnte die
Wirklichkeit sehen, aber nicht berühren.«
    »Ich weiß, was Sie meinen.« Ich hatte
dieses Glasscheibenphänomen selbst Anfang des Jahres durchgemacht. Ich war
völlig ausgebrannt gewesen; das Elend, die Tragödien und die Schrecken, denen
ich in meinem Beruf begegnet war, drohten mich zu überwältigen. »Wie haben Sie
reagiert, als Sie merkten, daß Sie schwanger waren?«
    »Zuerst habe ich es einfach verdrängt.
So etwas konnte mir einfach nicht passieren. Ich fühlte mich hin und her
gerissen — ich hatte immer ein Kind gewollt, aber nicht von Hal. Ich wußte, daß
ich etwas unternehmen mußte, daß ich entweder abtreiben oder für mich und mein
Kind Pläne machen mußte. Aber ich war dem einfach nicht gewachsen. Erst als Hal
drei Monate später auf die Ranch zurückkam — nachdem die Vergewaltigung keine
Folgen gehabt zu haben schien — , wurde ich aus meiner Lethargie
herausgerissen. Zwei Tage später bin ich weggegangen.«
    »Aber in der Zwischenzeit fand er
heraus, daß Sie schwanger waren.«
    »Ja, von Frank, der ins Haus kam, weil
er glaubte, daß das Kind von ihm wäre, und mich sehen wollte. Hal hat sich wohl
ausgerechnet, daß er der Vater war. Er hat mich darauf angesprochen, und ich
habe es zugegeben. Er forderte von mir, die Ranch zu verlassen. Ich hatte mich
bereits entschlossen wegzugehen. Ich nehme an, die Tatsache, daß ich so demütig
zustimmte, ist einer der Gründe, warum mich Hal als Opfer beschimpft. Das war
ich einmal. Aber nie wieder.«
    Sie schien nun erschöpft zu sein. Ihre
Hände glitten über den Tisch zu mir, dann beugte sie sich nach vorne und legte
den Kopf auf ihre Arme.
    Ich legte meine Hände auf ihre. Diesmal
zog sie sie nicht weg.
    »Irene«, sagte ich, »Sie und Hal scheinen
zu glauben, daß Sie wissen, wer Frank getötet hat. Ich hörte, wie Sie darüber
sprachen, als ich auf der Küchenveranda stand. Wer ist es?«
    »Harlan.«
    »Warum?«
    »Frank hat zweimal versucht, ihn zu
sprechen, um ihn zu fragen, ob ich Freunde oder Verwandte an der Bucht hätte. Hal
hat ihn beide Male abgefangen, aber Frank war so wild entschlossen, daß sie
sich geschlagen haben, und Hal vermutet, daß Frank ein andermal zu seinem Vater
vorgedrungen ist. Harlan hat in den vergangenen Wochen mehr denn je getrunken,
und er kennt das Reservoir, wo man Franks Leiche gefunden hat, sehr gut. Er hat
vermutlich angenommen, daß man den Toten vor dem Frühling nicht dort finden
würde. Es paßt alles zusammen.«
    In der Tat — und doch auch wieder
nicht. »Wohin, glauben Sie, ist Hal gefahren? Ich muß nach ihm fahnden lassen.«
    Sie zog ihre Hände unter meinen heraus
und setzte sich auf. »Zur Ranch zurück, denke ich. Nein, warten Sie — Hal glaubt,
daß Susan in den ›Schlössern‹ ist. Vielleicht ist er dorthin, um Susan in seine
Gewalt zu bringen und mich zum Schweigen zu zwingen, was Rudy und Harlan
betrifft. Vielleicht sind die Mädchen oder Gerry in Gefahr.«
    Mir fiel auf, daß sie Vicky nicht
erwähnte. Vermutlich war ihr gleichgültig, was mit ihr passierte.

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