"Dieser Weg wird kein leichter sein,,,": Mein Leben und ich (German Edition)
pädagogische Tricks nötig, um Lewis zu überzeugen, dass wir keine Unmenschen waren. Schließlich sprach mein Vater ein Machtwort, das keine Widerrede duldete. Die Worte eines Familienoberhaupts haben nämlich Gewicht. So lagen wir am Ende eines anstrengenden und aufregenden Tages in unseren Hochbetten und ich weiß noch, was ich dachte, kurz bevor ich in den verdienten Schlaf fiel: Gerald, gerade hat dein neues Leben begonnen. Und ich war furchtbar gespannt darauf, wie es weitergehen sollte.
Wenige Tage nach dem feindlichen Überfall des Bruders und der Schwestern aus Ghana beruhigte sich die Situation ein wenig. Wir Kinder teilten uns das Zimmer mit gebührendem gegenseitigen Respekt, soweit das in einem kleinen Zimmer mit vier Betten möglich war. Dabei sollten sich, das wünschten sich unsere Eltern, besonders die Jungs miteinander anfreuden. Aber wie sollte das gehen?
Ich beherrschte eine ghanaische Sprache und Englisch, er nur Deutsch. Und da hatte ich natürlich meine Schwierigkeiten. Wie also sollten wir uns unterhalten? Es ging am Anfang – das kennt jeder Tourist, der der Sprache seines Urlaubslandes nicht mächtig ist – nur mit Körpersprache und Handzeichen. Da wir von einer Kinderfrau betreut wurden, die ebenfalls nur Deutsch sprach, genoss Lewis einen eindeutigen Vorteil bei der häuslichen Kommunikation. Aber das war auch gut für mich. Denn ich hatte keine Chance, mich in die Heimatsprache Twi zu flüchten. Die verstand nämlich keiner. Und so entwickelten wir Stück für Stück unsere eigene Kommunikationsform, eine Mischung aus Englisch, Twi und Deutsch. Beispiel gefällig? »Gehen wir zum Spielplatz« hieß bei uns »Jenko to Spielplatz«. Klingt nicht sehr geschmeidig, war aber einigermaßen hilfreich. Das Kauderwelsch machte uns zu wirklichen Exoten, welche wir sowieso waren. Brüder, die sich nicht unterhalten können – wo gab es denn so etwas?
Das Verhältnis zu Lewis war zu Beginn nicht zuletzt deshalb etwas gespannt, weil er einen Fernseher besaß – in Ghana war das unvorstellbar, hier anscheinend die Regel. Ich habe schon erwähnt, dass ich als Kind gerne Kühe gehütet habe. Und deshalb war mein Traum vom Fernsehen auch beseelt von Cowboy-Filmen. Doch mein Bruder, der nicht nur über das Gerät, sondern auch über die dazugehörige Fernbedienung herrschte, stand auf Zeichentrickserien, bei der kleine verrückte Figuren gegen Monster kämpften. So ein Mist! Ich wollte doch Pferde, Reiter und Indianer. Da gab es dann häufig handfesten Streit, bei dem er mich regelmäßig aus dem Zimmer schmeißen wollte. Meine Cowboy-Leidenschaft musste also warten, bis ich mit dem Fernseher mal alleine war, was allerdings nicht oft vorkam. Wenn aber doch, dann träumte ich mich mit den Cowboys weg in die Prärie – und dachte immer auch ein bisschen an mein Afrika.
Heute habe ich ein tolles Verhältnis zu meinem Bruder. Obwohl er anfangs keinen blassen Schimmer von Fußball hatte, spielte er später auch in der Jugend bei Schalke 04. Und ich gebe zu, da hatte er es nicht immer einfach. Denn er wurde immer mit seinem großen Bruder verglichen. Er aber nahm es gelassen, wurde kein Profi, dafür aber ein guter Freund.
Ein Weihnachtsbaum aus Plastik
Nicht, dass Sie denken, dass in Ghana nicht Weihnachten gefeiert wird. Natürlich denken auch Christen in Ghana an die Geburt Jesu. Doch in Afrika ist das ein Fest der Familie, das am 25.12. begangen wird, während der Heilige Abend eher eine untergeordnete Rolle spielt.
Bei uns gab es ein festes Ritual. Nach dem Gottesdienst am Morgen gingen wir immer zur Mutter meines Vaters, die mittlerweile leider schon verstorben ist. Da wurde dann viel gegessen. Man servierte, was sonst, Fufu und natürlich, weil es ein besonderer Tag war, auch ein Hähnchen. Man tanzte zu afrikanischer Musik und wir Kinder freuten uns über die Geschenke. Das waren aber nicht aufwendig verpackte Spielsachen, sondern ganz einfache Dinge wie Kekse, die es schließlich nicht allzu oft gab. Für mich aber war das nicht nur deshalb ein toller Tag. Was zählte, war, dass ich auch meine ganze Verwandtschaft, meine Cousins und Cousinen endlich einmal wiedersah. Da war dann mächtig etwas los, wie immer, wenn große Familien sich treffen und alle gemeinsam feiern. Und ganz ehrlich: Auch außerhalb der Weihnachtszeit kamen wir oft genug zusammen. Ich kann mich auch noch daran erinnern, dass wir Kinder kurz vor der Weihnachtszeit fast jedes Jahr eine Krippe miteinander gebaut haben.
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