"Dieser Weg wird kein leichter sein,,,": Mein Leben und ich (German Edition)
machte ich noch vier Länderspiele mit, unter anderem auch das 1:4 in Italien. Diese Niederlage setzte damals Klinsmann noch einmal ordentlich unter Druck. Könnten wir im Konzert der Großen mithalten im eigenen Land? Das war die eine Frage. Die andere war, wer am Ende nominiert würde.
Klinsmann krempelt um
Als Rudi Völler seinen »Dienst« beim DFB beendete, war für uns alle Jürgen Klinsmann eine Art Wundertüte. Denn ihm eilte der Ruf voraus, Dinge anders anzugehen und vor allem für Unruhe zu sorgen. Das ist für uns Spieler meistens eher Gift. Denn für uns ist es – auch für unsere eigene Bequemlichkeit – schon ganz gut zu wissen, was auf uns zukommt. Aber genau da setzte Klinsmann an. Unberechenbar bleiben, neue Reize setzen und vor allem Ziele ausgeben. Dies war sein Angebot, das auch bei den Nationalspielern auf Verwunderung stieß. Die große Enttäuschung der EM 2004 war noch nicht ganz verdaut, da gab er das Ziel vor, 2006 Weltmeister zu werden. Das war ja mal eine Aussage!
Klinsmann entfachte auch bei mir ein neues Feuer – und das schien auch auf das Publikum überzuspringen. Kurz nach der EM gab es in Berlin ein Länderspiel gegen Brasilien. Wie er uns da vor dem Spiel heiß gemacht hat, das war schon einzigartig. Dergleichen hatte ich vorher so noch nicht erlebt. Als wir auf den Platz gingen, waren wir alle total stolz, Teil der Mannschaft zu sein. Das zeigte sich dann auch im Spiel. Wir präsentierten uns als ein eingeschworener Haufen, der sich durch nichts einschüchtern ließ, das hat auch das Publikum gesehen und dementsprechend reagiert. Getragen von dieser Euphorie trotzten wir dem Weltmeister ein 1:1 ab. Als ich kurz vor dem Ende ausgewechselt wurde, gab es standing ovations für mich. Ich schreibe das nicht, weil ich damit sagen will, wie toll ich war. Nein, das galt für jeden von uns. Das Publikum hatte begriffen, dass sich im deutschen Fußball etwas zu ändern begann. Es gab wieder Ziele und Spieler, die diese Ziele mittragen würden.
Der Weg zur Weltmeisterschaft 2006 war natürlich sehr steinig und hatte seine Höhen und Tiefen. Gute Ergebnisse, wie etwa beim Confederations Cup, ließen die Presse Lobeshymnen schreiben. Aber kurz vor der WM gab es dann dieses verwünschte Spiel gegen Italien, das die Zweifler wieder auf den Plan rief. Ich gebe zu, dass auch wir Spieler ob der Kritik kurz anfingen, uns zu hinterfragen: Wird das denn reichen? Auch der Vorwurf, dass Klinsmann nicht in Deutschland lebe, beschäftigte uns. Alles wurde auf einmal wichtig.
Doch Kopf dieses Teams war und blieb ein Mann, der sich trotz der Kritik immer vor die Mannschaft stellte und seine und damit auch unsere Ziele nie aus den Augen verlor. Wir Spieler hatten entschieden, dass wir mitgehen wollten, und hielten Wort. Wir folgten ihm bei seinen neuen Trainingsmethoden, die anfangs für viele ungewöhnlich waren, machten Hausaufgaben und merkten, dass sie uns weiterbrachten. Wir freuten uns, wenn er sich kümmerte, mit uns ständig Kontakt hielt, uns anrief, E-Mails schrieb. Selbst als ich mir das Bein brach, wurde ich nicht fallen gelassen. Ich wurde zu Mannschaftsessen eingeladen, sodass mich das Gefühl dazuzugehören nie verließ. Wir waren eher schon wie eine Familie als eine Sportmannschaft und das berührte mich natürlich besonders. Denn ich bin von Haus aus ein Familienmensch und spielte zudem bei einem Verein, bei dem der Spieler nicht nur als Ware, sondern als Mensch gesehen wurde. Und was noch ganz entscheidend war: Dieses Engagement wurde vorgelebt. Man hatte immer den Eindruck, dass alles dafür getan wurde, um diese neu gesteckten Ziele zu erreichen. Nach außen waren es immer die skurrilen Dinge, die für Aufregung sorgten: chilling zones im Hotel oder Plastikbänder beim Training. Aber nach innen hatte man als Spieler das Gefühl, ernst genommen zu werden. Das war wichtiger als Diskussionen über Aufenthaltsorte von Trainern.
Ich bin dabei
Irgendwie spürte ich schon, dass ich gute Chancen hatte, bei diesem Sommermärchen dabei zu sein. Aber ein Restrisiko gab es natürlich immer. Alle wussten, dass Klinsmann bei seiner Teamauswahl immer eine Überraschung parat haben könnte. Am 15. Mai 2006 sollten wir uns bereithalten. Ein Anruf sollte kommen und damit der Daumen rauf- oder runtergehen! Und er kam pünktlich um 12.00 Uhr:
Ich: »Asamoah hier!«
Er: »Hallo, Gerald, Klinsmann hier, was machst du?«
Ich: »Ich liege auf dem Bett.«
Er: »Bist du fit?«
Ich: »Klar!«
Er:
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