"Dieser Weg wird kein leichter sein,,,": Mein Leben und ich (German Edition)
ist Kaka?
Noch nie hatte Deutschland bei einer WM gegen Brasilien gespielt. Jetzt waren wir Endspielgegner. Keine Frage, dass Rudi Völler uns aufforderte, das Spiel unseres Lebens abzuliefern. Aber das war sowieso selbstverständlich. Wer an so einem Tag nicht bereit gewesen wäre, sich zu zerreißen, dem war eh nicht mehr zu helfen. Ich würde die Brasilianer sehen, die ich nur aus dem Fernsehen kannte. Die drei großen »Rs« – Ronaldo, Ronaldinho, Rivaldo – und die anderen Zauberkünstler, die aber bisher nicht so überzeugend gespielt hatten, dass man Angst vor ihnen hätte haben müssen.
In Yokohama lag ich auf dem Bett, hörte durch das offene Fenster die Stadt pulsieren und wusste, dass dies für mich zum wiederholten Male die Erfüllung eines lang gehegten Traums war: In einem WM-Endspiel sollte ausgerechnet ich der erste Schalker und zudem der zweite Afrikaner sein (nach dem Ghanaer Marcel Desailly, der mit Frankreich 1998 den WM-Titel gewann).
Im Stadion konnte ich mir alles genau anschauen: die Brasilianer, wie sie sich warm machten, das euphorische Publikum, das Medienaufgebot. Und plötzlich kam mir auch noch die Sängerin Anastacia entgegen, die vor dem Spiel einen Song zum Besten gegeben hatte. Das war wie im Film! Was soll ich sagen: Wenn du auf dem Platz stehst und das Spiel läuft, ist es egal, wer da spielt. Aber wenn du zuschaust, überkommt dich das untrügliche Gefühl, plötzlich an etwas ganz Großem beteiligt zu sein. Und was gibt es Größeres als ein WM-Endspiel?
Wir spielten besser, als die Kritiker es erwartet hatten. Insbesondere kurz nach der Pause hatten wir echte Chancen auf ein Tor, aber konnten sie nicht nutzen. Das machten die Brasilianer besser, profitierten aber von einem Fehler von Olli Kahn, der Rivaldos Schuss nicht festhalten konnte und damit Ronaldo zum 1:0 einlud. Das war aber keineswegs unser Untergang. Im Gegenteil, wir blieben im Spiel, und das sogar mit mir. In der 77. Minute kam ich für Jens Jeremies, Völler setzte auf die Offensive. Und zwei Minuten später war ich an einem Tor beteiligt. Leider am 2:0 für Brasilien. Ich spielte offensiv auf der rechten Seite, Thomas Linke war im Zweikampf mit Ronaldo am Strafraum. Ich versuchte zu helfen, als Linke den Ball durch die Beine ließ. Aber leider schoss Ronaldo sofort. Ich hätte ihn attackieren können, aber dann hätte es Elfmeter gegeben. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass Kahn den Ball halten konnte. Dieser Schuss aber war unhaltbar. So wurden wir geschlagen und waren dennoch glücklich. Die Vize-Weltmeisterschaft hatte uns vorher keiner zugetraut.
Ein Nachtrag: Nach dem Spiel habe ich ganz verschwitzt, das Trikot zu tauschen. Es wäre ja schon etwas gewesen, mit dem Trikot von Ronaldo nach Hause zu kommen. So brachte mir jemand das Trikot eines brasilianischen Ersatzspielers. Kaka? Wer soll das denn sein? Wer ist denn bitte Kaka? Ich war enttäuscht. Aber wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss nehmen, was übrig bleibt. Erst nachträglich bekam das Endspieltrikot des unbekannten Brasilianers Glanz. Denn aus dem Nobody wurde später ein Superstar. Und ich hatte damit doch noch ein echtes Endspieltrikot von einem tollen Spieler.
Ich kann Schlager
Wir waren hin- und hergerissen zwischen Niedergeschlagenheit und Euphorie. Aber egal, ob Frust oder Freude – mit beiden Gefühlen lässt sich prächtig feiern. So hatten wir am Abend viel Spaß mit der Band Pur, die für uns spielte und die ich später bei ihren Konzerten auf Schalke noch ein paarmal wiedertreffen sollte. Von da ging es dann zum Flughafen. Und tatsächlich habe ich auf dem Rückflug nach Deutschland geschlafen, ganz im Gegensatz zum Hinflug.
Wir freuten uns darauf, mit den deutschen Fans die Vize-Weltmeisterschaft zu feiern. Und das war schon überraschend, wie viele Fans in Frankfurt auf dem Römer auf uns warteten. Über 15 000 Fans bereiteten uns einen unvergesslichen Empfang. Nach dem Eintrag ins goldene Buch der Stadt sangen sie die inoffizielle WM-Hymne: »Es gibt nur einen Rudi Völler.« Und auch ich legte einen ersten Gesangsauftritt hin, der viele überraschte. Aber wer im Fußball groß wird, der singt gerne auch Lieder, die zum Feiern passen. Also gab es von mir »Marmor, Stein und Eisen bricht« und vor allem »Eins kann mir keiner nehmen und das ist die pure Lust am Leben«.
Irgendwie hatte ich mein Herz für solche Art Musik entdeckt. Von meiner Familie kam so etwas nicht, ich hatte da ein anderes Schlüsselerlebnis:
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