Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
traurig?«
»Nö, gerade nicht.«
»Das ist gut«, sagte ich. »Der schönste Weg, mich zum Lächeln zu bringen, ist nämlich, dich zum Lächeln zu bringen.«
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, um in die Schule zu gehen, war mein Kopfkissen voller Blut. Ich schreckte zusammen und dachte an etwas Furchtbares, aber dann merkte ich, dass ich nur Nasenbluten hatte. Ich wollte nach Mama rufen, aber mein Hals tat so weh, dass ich kaum sprechen konnte. Vorsichtig kam ich aus meinem Hochbett gekrochen und tapste ins Bad. Meine Speiseröhre brannte wie Feuer, mein Magen drehte sich und mit jedem Atemzug zog sich mein Brustkorb zusammen. Bitte lass das Monster nicht kommen, betete ich und nahm Mama an die Hand, um mich am Waschbecken zu übergeben. Als ich nicht mehr konnte, bereitete sie mir einen Zitronentee zu, aber nicht mal den bekam ich runter. Ich legte mich zu Rocky aufs Sofa. Die Katze drehte sich einmal im Kreis und kuschelte sich an meinen Bauch. Mama deckte mich zu. Keine Schule für mich. Ich schloss die Augen und träumte von einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen. Der kleine Junge sagte: »Ich liebe dich.«
Das kleine Mädchen griff sich ans Herz und fragte: »So wie die Erwachsenen es tun?«
Der kleine Junge schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, meine Liebe ist echt.«
Abends ging es mir wieder etwas besser, und ich skypte mit Lars, der wie immer mit seiner grauen Kapuzenjacke an seinem Schreibtisch saß. Er zeigte mir ein Video, in dem Jay-Z die gleichen roten Nikes trug, die Lars mir geschenkt hatte. In der Schule war ich mit ihnen der König. Jedenfalls fühlte ich mich so. Ich wollte keine anderen Schuhe mehr anziehen. Nie mehr. Es ist nämlich ganz schön wunderbar, wenn dich plötzlich alle cool finden. Eigentlich doof, dass es dazu ein Paar Turnschuhe braucht.
Es war der 6. Dezember, ein beschissener Misttag. Für die anderen Kinder gab es Süßigkeiten, die der Nikolaus gebracht hatte, aber für mich gab es nichts. Die Krankenschwestern aus dem Hospiz erlaubten mir nicht, Pommes mit sauren Stangen zu essen, weswegen ich heulte und jeden anschrie, der mir in die Quere kam. Alle hatten sich gegen mich verschworen. Ich verstand nicht, warum ich bestraft wurde, obwohl ich nichts getan hatte. Mama erklärte mir später, dass es mit meinen Zuckerwerten zu tun hätte, die wieder schlechter geworden seien, aber das verstand ich auch nicht und schrie noch mehr. Türen flogen zu. Mama weinte jetzt auch. Und weil Mama weinte, musste ich auch wieder weinen. Ich rannte schnell zurück zu ihr und klammerte mich an ihren Bauch und sagte: »Tut mir leid, Mama.«
Nach einer Weile ging Mama in die Küche und feuerte eine Portion Chicken Wings in den Ofen, und als Papa von der Arbeit kam, aßen wir alle zusammen vor dem Fernseher. Ich schaffte vier Chicken Wings. Die restlichen drei schob ich auf Papas Teller rüber. Ich ging in mein Zimmer und guckte Berlin – Tag & Nacht . Meine Lunge fühlte sich an, als würde nicht genug Sauerstoff durch sie hindurchfließen, als würde ein mächtiges Tor den Weg nach innen verschließen. Das Atmen fiel mir schwer, und ich hustete wie ein sterbender Hund. Es tat weh, aber ich wollte Mama nicht rufen. Ich hatte ihr heute schon genug Kummer bereitet. Dann, als ich schon im Bett lag, geschah ein Wunder. Ich glaube, der Weihnachtsmann hatte damit zu tun, denn es passierte etwas, dass ich nicht für möglich gehalten hätte. Mama kam grinsend in mein Zimmer und gab mir den Telefonhörer. Lars war dran und verriet mir sein Nikolausgeschenk: »In zwei Wochen kommst du mich in Berlin besuchen, für drei Tage. Na, was sagst du?«
Was sollte ich schon sagen? Ich drückte Mama so fest ich nur konnte und bedankte mich sofort beim lieben Gott, dass er meine Gebete erhört hatte. Mein größter Traum ging in Erfüllung. Endlich nach Berlin. Meine Herz- und Lungenschmerzen waren wie weggeblasen. Ich meine, sie waren noch da, wurden aber durch die riesige Vorfreude auf Platz zwei und drei verdrängt. Mama gab mir einen Kuss und knipste das Licht aus. Ich konnte es noch immer nicht glauben. In dieser Nacht träumte ich vom Paradies, denn dort würde ich bald sein. »Lieber Jesus«, schickte ich leise ein Gebet in den Himmel. »Danke, dass du mich lieb hast. Ich hab dich auch lieb. Dein Jünger Daniel Meyer.«
Alexej lag bereits seit einer Woche im Krankenhaus. Er wurde an seinen Beinen operiert. Er sitzt im Rollstuhl und kann sich kaum noch bewegen. Für Mama und
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