Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
so angehimmelt und bewundert hast, aber irgendwie erscheint alles in einem völlig anderen Licht. Gar nicht mehr so toll und voller Zauber.«
Lars war nicht glücklich. Seine Augen sahen traurig aus. Und es lag nicht an den Katzen. Mir konnte er nichts vormachen. Ich bin ein Profi im Verstellen. Schließlich mache ich schon mein Leben lang nichts anderes.
»Ich bekomme es nicht weg«, sagte er.
»Was nicht weg?«, fragte ich.
»Dieses Gefühl des Unglücklichseins.«
»Auch dann nicht, wenn alles ganz schön ist?«
»Wann ist denn mal alles ganz schön?«
Das war eine gute Frage, auf die ich so schnell keine Antwort fand, aber dann fiel mir etwas ein, und ich sagte: »Jetzt, wenn wir zusammen sind.«
Lars lächelte. Wir saßen uns schweigend gegenüber. Manchmal trafen sich unsere Pommes, wenn wir sie im gleichen Moment durch den Ketchup tunken wollten.
»Mach dir bitte keine Sorgen«, sagte ich schließlich. »Also, mach dir keine traurigen Gedanken. Bald bin ich dein Schutzengel. Dann passe ich gut auf dich auf. Bestimmt kann ich mir auf der Wolke eine Fähigkeit aussuchen, und ich nehme einfach die, die dich wieder glücklich macht.«
»Zauberpillen gibt’s dafür auch hier schon«, lachte Lars. »Dafür muss ich nicht warten, bis du die Flatter machst.«
»Ich glaube, du brauchst bloß ein Mädchen, das dich für immer lieb hat«, sagte ich.
»Für immer, immer? Für immer, immer?«
Er sang diese Frage leise vor sich hin, es hörte sich aber trotzdem ziemlich schief an. Ich lachte. Dann lachte Lars auch. Ich hielt meine Hand nach oben, und Lars schlug ein.
»Brüder für immer.«
»Brüder für immer.«
Der McDonald’s begann sich zu drehen, und mir wurde schlecht. Ich schaffte es aufzustehen, aber das Laufen fiel mir schwer. Die Stiche in meinem Herzen kamen zurück. Lars nahm mich in den Arm und trug mich raus zum Auto. Er drückte auf einen Knopf, und die Lehne des Beifahrersitzes schob sich automatisch nach hinten. Die Sitzheizung sprang an, und ich legte mich hin.
»Kannst du bitte einfach nur durch die Gegend fahren, ja?«, säuselte ich.
»Brauchst du Sauerstoff?«
Ich schüttelte vorsichtig mit dem Kopf. Lars nickte und schaltete einen Sender ein, ganz leise, der schöne Weihnachtslieder spielte. Ich hörte noch für einen Moment den Glöckchen der süßen Engel zu, dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, parkten wir vor unserem Haus. Ich stellte meinen Sitz wieder in die Senkrechte und schaute zu Lars.
»Wie lange stehen wir hier schon?«
»Ein Weile«, sagte er. »Wie geht’s dir?«
Ich zuckte mit den Schultern, dann stiegen wir aus. Wir liefen langsam den Weg durch die Vorgärten bis zu unserer Eingangstür. Ich dachte wieder an Rocky und Sina, öffnete die Haustür und atmete tief durch. Mein erster Blick ging runter auf den Boden, um zu sehen, ob er voller Katzenblut war. Ich schaute in der Küche nach, aber es schien alles in Ordnung zu sein. Rocky lag auf seinem Lieblingsplatz, dem alten Sessel im Schlafzimmer meiner Eltern. Sina kroch unter dem Wohnzimmersofa hervor und rannte mir tollpatschig gegen die Füße. Ich nahm sie hoch, drückte sie an mich und gab ihr einen Kuss auf ihre feuchte Katzennase. Zum Glück ging es wenigstens ihr gut.
Ich legte mich aufs Sofa und schaltete Supertalent an. Lars brachte mir zuerst meine Decke und Kopfkissen, dann eine große Apfelsaftschorle mit vielen Eiswürfeln.
»Kraulst du mich?«
Lars kraulte mich. Ich schloss meine Augen. Ich versuchte nicht daran zu denken, was gleich passieren würde. Aber es war unausweichlich. Ich sprang auf, schleppte mich mit Bauchschmerzen zum Waschbecken und spuckte Galle. Lars lief mir hinterher und hielt mich von hinten fest. Mit jeder Würgeattacke wurde ich wackeliger auf den Beinen.
»Na, komm! Alles raus, was keine Miete zahlt«, hörte ich seine Stimme, dann sackten mir auch schon die Beine weg. Lars fing mich auf und trug mich aufs Sofa zurück.
»Soll ich deine Mutter anrufen, damit sie schnell nach Hause kommt?«
Ich nickte und wollte nur noch einschlafen. Auf der Stelle. Ohne großes Aufsehen. Einfach nicht mehr da sein. Weg von dieser Erde, diesem Gefühl, dieser Ohnmacht.
26
Die Ärzte erklärten mir, dass sich daran nie etwas ändern würde. In einem Moment würde es mir noch gutgehen und im nächsten sehr schlecht, dann plötzlich wieder gut, schlecht, gut, schlecht. Ich komme damit überhaupt nur zurecht, weil mein Kopf diese ständigen Gefühlsschwankungen nicht verarbeiten kann.
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