Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
heißen Kinderpunsch. Tara war wirklich sehr groß, sehr blond und sehr hübsch. Ich mochte sie auf Anhieb, weil sie immer lieb lächelte. Lars steckte mir heimlich einen Fünf-Euro-Schein zu, und ich kaufte ihr beim Ballon-Mann ein großes Ich-liebe-dich-Herz. Natürlich war es rot, weil rot ja die Farbe der Liebe ist. Dann gingen wir zum Schießstand. Ich traf zwar nichts, bekam von der freundlichen Frau aber trotzdem eine Rose überreicht, die ich sofort an mein Mädchen weiter verschenkte. Ich schnickte Lars in die Seite und sagte mit einem Augenzwinkern: »So wird das gemacht, Junge!«
Wir hatten so viel Spaß zusammen, dass die beiden mich immer wieder beruhigen mussten. Wir blieben dann meistens kurz an einer der vielen Getränkebuden stehen und wärmten uns an den Heizstrahlern auf. Später aß ich noch einen Fleischspieß, schaffte aber nur die Hälfte, verzockte unser ganzes Kleingeld am Spielautomaten, durfte mit der Raupe fahren und legte mich mit dem Mann an der Wurfbude an, aber auf die freundliche Weise. »Ich glaube, du solltest ein Mädchen werden, kann das sein?«, hatte er auf Hamburgerisch zu mir gesagt, und: »Komm her, du Blindfisch, darfst noch mal üben.« Ich bekam drei neue Bälle, ohne etwas bezahlen zu müssen, aber die Blechdosen traf ich trotzdem nicht. Ein paar Meter weiter tanzte ein Betrunkener beim Square Dance mit, was total lustig aussah, mir aber auch Angst machte. Ich mag keinen betrunkenen Menschen. Geisterhäuser auch nicht. Immer, wenn wir daran vorbeikamen, klammerte ich mich ganz fest an Lars und hoffte, dass nichts Schlimmes passierte. Geister sind nämlich tote Menschen. Beim Laserschießen traf Lars zehn von zehn Schuss und bekam als Gewinn ebenfalls Rosen geschenkt. Fünf Stück. Tara und ich zwangen ihn, sie an fremde Mädchen zu verteilen. Erst hatte er keine Lust dazu, aber er wollte auch kein Spielverderber sein. Tara und ich suchten die Mädchen aus, und Lars musste sie dann ansprechen. Wir lagen fast am Boden vor Lachen.
Nach zwei Stunden war ich mit meinen Kräften am Ende, aber mein Leben fühlte sich gerade so schön lebendig an, dass ich den Abend noch nicht beenden wollte. Wir tranken eine zweite Runde Glühwein, was mir etwas Zeit verschaffte. Lars und Tara unterhielten sich, und ich schaute rüber zum Autoscooter, wo die großen Jugendlichen mit ihren Freundinnen cool am Geländer lehnten. Sie rauchten Zigaretten und gaben sich ab und zu einen Kuss und sahen sehr verliebt aus. Als das Signal für eine neue Runde ertönte, nahmen die Jungs ihre Mädchen an die Hand und setzten sich gemeinsam in ein Auto. Dann legten sie einen Arm um das Mädchen und den anderen Arm ans Lenkrad. Ich versuchte zu erahnen, wie sich diese Freiheit wohl anfühlen mochte, aber ich hatte keinerlei Vorstellung. Es ist schwer, auf etwas zu warten, wenn du weißt, dass es niemals passieren wird. Aber es ist noch schwerer damit aufzuhören, wenn es alles ist, wonach du dich sehnst.
Meine Lippen wurden blau. Lars bat Tara, meine Tasche mit dem Sauerstoff zu tragen und nahm mich Huckepack. Zum Glück stand der schwarze BMW direkt auf dem Parkplatz gegenüber. Lars zeigte dem Wachmann seine Karte, dann stiegen wir ein und fuhren los. Wir setzten Tara direkt vor ihrer Wohnung ab, weil es schon dunkel war. Man bringt Mädchen immer bis zur Haustür, damit man weiß, dass ihnen unterwegs nichts passiert. Als sie mich zum Abschied umarmte, gab ich ihr einen saftigen Kuss auf die Wange. Wie sich das für einen Gentleman gehört. Tara lächelte und küsste mich zurück, und die Wolke, auf der ich zu schweben begann, hauchte mir sofort neue Energie ein, und so machten wir auf dem Nachhauseweg noch bei McDonald’s halt.
Wir saßen vor unseren Hamburgern. Zuerst sagte Lars überhaupt nichts, er schaute nur geistesabwesend in die Luft, aber dann konnte er mit dem Reden gar nicht mehr aufhören.
»Früher, als ich in deinem Alter war, vielleicht noch etwas jünger, zehn oder elf, da schien jeder McDonald’s ein wahnsinnig fröhlicher Ort zu sein. Ich erinnere mich sogar, wie einer meiner besten Freunde aus der Grundschule, mit dem ich zusammen Fußball gespielt habe, in einem McDonald’s seinen Geburtstag feierte. Wir bekamen unsere Happy Meals, spielten in der Lokomotive mit den bunten Kindertischen und alles war in bester Ordnung. Dann wirst du erwachsen, und die Magie, die alles so schön bunt gemacht hat, ist plötzlich verschwunden. Ich meine, du siehst die gleichen Dinge, die du einst
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