Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
darüber gesprochen, was er überhaupt hatte. Und letzte Woche hat er einen Tag im Büro gefehlt und nie erklärt, warum.«
»Ach, das wollte ich dir noch erzählen. Petra war heute hier«, sagte Glynis missmutig. Sie war fertig mit dem Thema Jackson.
»Ach ja? Und wie war’s?«
Shep räumte die Geschirrspülmaschine aus und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Petra Carson war Glynis’ Kommilitonin von der Saguaro-Kunstschule, die älteste Freundin seiner Frau, und sie lebte jetzt auf der Upper West Side. Das Verhältnis zwischen den beiden Kunstschmiedinnen war im besten Falle angespannt. Ebenso wie seine Schwägerin Ruby, deren schieren Arbeitseifer er immer bewundert hatte, wenn auch nie direkt Glynis gegenüber, arbeitete Petra hart und mit enormem Ausstoß. Vermutlich war eher Fleiß als Begabung für ihren Aufstieg verantwortlich: ihre vielen Ausstellungen in wechselnden Kunsthandwerksschauen, ihre hilfreiche New Yoker Galerie. Dass sich jenes ausschlaggebende Attribut in der erhabenen Welt der Kreativität vielleicht gar nicht allzu sehr von der einen lebenswichtigen Ingredienz unterschied, die sein eigenes prosaisches kleines Unternehmen zum Erfolg geführt hatte – stumpfe Ausdauer –, war eine Erkenntnis, die er nicht auszusprechen gewagt hätte.
Glynis pflegte Petras Arbeit als angepasst und nullachtfünfzehn zu bezeichnen. Anders als Glynis lehnte sich Petra nicht gegen die Grenzen des Handwerksbegriffs auf, sie wollte gar nicht unbedingt zur Welt der Kunst dazugehören. Sie stellte Schmuck her, tragbaren Schmuck, nicht mehr und nicht weniger. Und Shep fand das auch noch gut. Funktionalität sagte ihm zu. Er war Handwerker. Er hatte immer zu schätzen gewusst, dass seine Frau Dinge herstellte, die nicht nur attraktiv, sondern auch nützlich waren. Eigentlich hätten die Gegenstände dadurch doch wertvoller und nicht weniger wertvoll werden müssen. Insofern hatte er kein Verständnis für die verrückte Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk . Stellte man einen wasserdichten Tonkrug her, war er praktisch wertlos. Schlug man ein Loch in den Boden des Krugs, galt er auf einmal als Kunst, und man konnte Wucherpreise dafür verlangen. Wie pervers war das denn?
Eigentlich hätte eine lebensbedrohliche Krankheit die anhaltende Spannung hinsichtlich der Frage, welche von beiden Frauen die bessere Kunstschmiedin war, endlich aufheben müssen. (Für Glynis lag die Antwort auf der Hand.) Während kein Zweifel darüber bestand, wer von den beiden erfolgreicher war, lief seit Jahrzehnten eine stillschweigende Fehde, ob Petra denn auch zu Recht so viel Anerkennung genoss. Angesichts ihrer Krankheit hätte Glynis sicherlich einen Waffenstillstand ausrufen oder gar in einem Anflug von Großzügigkeit ihrer Kollegin endlich ein wenig Beifall zollen können. (Jetzt aber mal halblang, sagte Shep zu sich.) Doch was Glynis betraf, war die Rivaliät so erbittert wie eh und je. Sie wollte ihre älteste Freundin und Nemesis auf keinen Fall zu einem von vielen nichtssagenden Gutmenschen an ihrem Krankenbett degradieren.
»Kannst du nicht mal aufhören mit diesem Gewusel?«
Mit einem Pfannenheber in der Hand blieb Shep verdattert im Raum stehen. »Aber ich –«
»Ich verbringe den ganzen Tag mit Nichtstun. Es würde mich beruhigen, wenn jemand da wäre, der auch einfach mal nichts tut.«
Er zuckte mit den Achseln, warf den Pfannenheber in eine Schublade und zog einen Stuhl an ihr Zweiersofa heran. Es war eigenartig schwierig, ihrer Bitte nachzukommen. In diesen letzten Monaten war er nur am Rotieren gewesen, bei all den Aufgaben neben der Arbeit und den meistenteils gescheiterten Versuchen, sich um Zach zu kümmern, dessen Rückzug es ihm allzu leicht machte, ihn zu ignorieren. Wenn er einfach dasaß, wurde Shep unruhig, klaustrophobisch. Beschäftigung von früh bis spät war auch eine Art Therapie. Offensive Hilfsbereitschaft täuschte darüber hinweg, dass er in Wahrheit hilflos war.
»Stell dir vor, Petra hat nur geklagt.« Mühsam setzte sich Glynis in den Kissen auf und begann heftig zu husten. Ihre Freundin hatte sie offenbar gekränkt, wobei es kaum einen Besucher gab, der das nicht tat. Zorn war das Medikament ihrer Wahl. »Ach Gottchen«, krächzte Glynis, »diese Woche muss sie nach L. A. fliegen, zu ihrer Vernissage. Fliegen ist ja so schrecklich heutzutage; früher hat sie sich immer aufs Fliegen gefreut, und jetzt ist es für sie der Horror – die Sicherheitskontrollen und die Schlangen.
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