Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Und die Vernissagen sind ja immer so öde, all die Schleimer mit ihren Komplimenten, und dann kauft keiner was, also nichts als leeres Gerede. Und das war erst der Anfang. Egal, was sie erzählt hat, alles, was sie machen muss, das endlose Polieren, der Versand und die Versicherung, und dann noch mit den Galeristen essen gehen – es war alles schrecklich, schrecklich, was für eine Last, was für eine Ausbeutung, wo ich nicht mal imstande bin, über die Straße zu gehen! Was denkt sich diese Frau! Am Ende hätte ich ihr wirklich eine reinhauen können.«
»Aber … meinst du denn nicht, dass es den Leuten schwerfällt, dir von den schönen Dingen in ihrem Leben zu erzählen, wo es dir gerade so schlecht geht?«
»Sie hat keine Ahnung, wie viel Glück sie hat. Alle um mich herum scheinen sich immer nur selbst zu bemitleiden, und zwar wegen nichts und wieder nichts!«
Es war inzwischen so gut wie unmöglich, Glynis dazu zu bewegen, sich in andere hineinzuversetzen. Der Gerechtigkeit halber musste man sagen, dass Mitgefühl Kraft erforderte. Wut aber auch. »Es ist ihr peinlich, Gnu«, sagte er leise und beharrlich. »Sie wird instinktiv alles, was sie machen muss, als unangenehm darstellen, damit du das Gefühl hast, dass du’s nicht gern machen würdest, da du es ja nicht machen kannst. Nicht aus Selbstmitleid, sondern weil sie Mitleid mit dir hat.«
»Ach, ich scheiß auf dich und dein ewiges Verständnis. Ich bin diejenige, die Verständnis braucht!«
Glynis kamen die Tränen. Er beugte sich über ihre Decke und wischte ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. Wo er schon dabei war, nahm er ein Taschentuch, um das letzte bisschen getrocknetes Blut unter ihrer Nase wegzutupfen. »Deine Freunde haben dich lieb und wissen nicht immer, wie sie’s dir zeigen sollen.«
»Ich hab’s satt.« Sie schob sein Taschentuch weg und setzte sich mühsam wieder auf. »Diese Besucherparade. Cousinen, Tanten, die Nachbarn, die wir kaum kennen. Freunde von vor fünfzehn Jahren, die alle plötzlich aus ihren Löchern gekrochen kommen – als hätte es nicht einen guten Grund gegeben, warum wir in dieser ganzen Zeit nichts mehr zusammen unternommen haben: Wir mögen uns einfach nicht so sehr . Aber nein, alle wollen ihr Publikum. Sie haben sich von langer Hand vorbereitet, ihre kleine Präsentation. Alles, was sie unbedingt noch gesagt haben wollen . Wirklich, sie falten ihre Hände wie in der Kirche oder bei einer Buchkritik. Ich habe inzwischen schon so oft gehört, wie liiieb mich die Leute haben, dass es mir zu den Ohren rauskommt! Wenn du die Wahrheit wissen willst, im Moment wäre es mir fast lieber, es würde jemand durch die Tür kommen und sagen: ›Glynis, weißt du was? Ehrlich gesagt, deine Gesellschaft hat mir nie was bedeutet. Ehrlich gesagt, wir haben uns nie verstanden. Ich konnte mit dir noch nie was anfangen.‹ Oder meinetwegen sogar: ›Ich kann dich auf den Tod nicht ausstehen.‹ Das wäre mal erfrischend. Alles, nur nicht diese Sprüche, von denen mir kotzübel wird. Glynis, du bist so talentiert. Glynis, du hast so schöne Sachen gemacht. Glynis, du hast zwei wunderbare Kinder aufgezogen. Ich weiß nicht, wovon sie reden. Ja, für mich sind es vielleicht wunderbare Kinder, aber für andere sind Zach und Amelia doch nicht wunderbar, sondern einfach nur meine Kinder. Und diese ständigen Erinnerungen. Glynis, weißt du noch, als wir in Aspen im Skiurlaub waren und du dich verirrt hast. Glynis, weißt du noch, als wir klein waren und du dich als Goldgräber aus dem Wilden Westen verkleidet hast? Was soll ich denn dazu sagen? Was wollen diese Leute von mir? Klar kann ich mich erinnern, klar war das lustig oder gruselig oder doof. Ha ha ha? Und ich hab dich sooo lieb . Meistens habe ich die Leute, die hier auftauchen, alles andere als lieb. Meistens habe ich nichts und niemanden lieb, nicht mal dich!«
Shep wusste, dass er nicht gekränkt sein durfte, und strich ihr über das immer dünner werdende Haar. Glynis hatte eine Aversion gegen Gefühlsduselei; sie fühlte sich davon stets an Hetty erinnert. Aber da war noch etwas anderes, das sie in dieser Nacht umtrieb, etwas, das er nicht ganz nachvollziehen konnte. Was immer es war, sie musste es loswerden. Wie in den ersten Tagen nach der Chemo, als er ihr den Kopf gehalten hatte, bis auch der letzte Rest in die Toilettenschüssel getropft war.
»Diese ganze – Sentimentalität!«, fuhr sie gestikulierend fort. »Genau wie meine Mutter. Sie wollen sich
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