Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
schöne, klare Stimme gehabt, und ihre Version des Zapfenstreichs tauchte das Zelt auf Pemba nun in die willkommene Illusion, dass sie geschützt waren: Day is done. Gone the sun. From the hills, from the lake from the skies … All is well. Safely rest. God ist nigh.
An ihrem vierten Abend massierte er ihr bei Kerzenschein die Füße mit Zitronengrasöl, nachdem ihre Fußsohlen von den Strandspaziergängen wie glatt geschmirgelt waren. Er verteilte das Öl über die faltige Haut ihrer zurückgebildeten Waden. Er strich über die scharfe klassische Kurve ihrer Schienbeine, diese exquisite Form, der nicht mal der Krebs etwas hatte anhaben können. Er glättete die Haut ihrer Innenoberschenkel, die schlaff geworden war über dem wenigen Fleisch, das sie noch zu bedecken hatte. Er hielt inne, um sich noch eine kleine Menge Öl in die Handfläche zu gießen. Doch als er ihren Unterleib berühren wollte, hielt sie ihn am Handgelenk fest. Er glaubte, es ginge ihr um die Operationsnarbe. Dann aber schob sie seine Hand tiefer, drückte die Handvoll Zitronengrasöl in jenen Teil ihres Körpers, dessen zunehmende Nacktheit ihm wahrhaft in der Seele wehgetan hatte. Fragend zog er die Augenbrauen hoch.
»Dieses Moskitonetz«, sagte sie, »hat was von einem Hochzeitsbaldachin, findest du nicht?«
Und so war es.
DIE VORÜBERGEHENDE BESSERUNG war kostbar, und die wenigen Tage, an denen die sinkende afrikanische Sonne den Wangen seiner Frau wieder Farbe verlieh, rechtfertigten allein die qualvolle Anreise. Für den Rest der Welt konnte Shep sich kaum verbürgen, für ihn aber waren diese wenigen Tagen auf Pemba zwei Millionen Dollar wert. Doch die Ruhe war nicht von Dauer. Eines Morgens wachte er auf und sah, dass das Bettzeug rot war. Schon vor Monaten hatten Glynis aufgehört zu menstruieren. Das Blut kam aus ihrem After.
Das war das Ende der Strandspaziergänge, denn sie konnte nun nicht mehr weiter gehen als bis zur Toilette, und das nur mit Unterstützung. Sie hatte Schmerzen, und zum ersten Mal holte Shep das flüssige Morphium hervor.
Shep war mit Glynis in Marokko gewesen, als seine Mutter den Schlaganfall erlitten hatte, von dem sie sich dann nicht mehr erholte. Jackson hatte einen denkbar abrupten Abgang gemacht, und alle anderen Zeitgenossen waren immer gesund gewesen. Zu seiner Bestürzung beschränkte sich seine Erfahrung mit dem unmittelbaren Tod auf Kino und Fernsehen. Auf der Mattscheibe lagen die Figuren mit tödlichen Krankheiten immer ruhig in ihren Krankenhausbetten und murmelten etwas Anrührendes, ehe sie den Kopf auf die Brust fallen ließen. Es dauerte nie lange, und der Tod selbst war so sauber, als hätte man einen Lichtschalter betätigt.
Für Filmemacher war der Tod ein Augenblick; für Glynis war der Tod eine Aufgabe.
Über zwei lange Tage und Nächte hinweg stellten die Organe seiner Frau allmählich ihre Funktion ein. Weit entfernt von der Verstopfung durch die Chemotherapie, konnte sie überhaupt nichts mehr bei sich behalten, und aus jeder Körperöffnung begann es herauszusickern. In ihrem Erbrochenen war Blut. In ihrem Durchfall war Blut. In ihrem Urin war Blut. Vielleicht half es, dass er die Ferienanlage vorgewarnt hatte, denn die Mitarbeiter waren zuvorkommend und wechselten zweimal täglich das Bettzeug, nachdem Shep zuvor seine Frau in einen Liegestuhl gelegt hatte. Die Afrikaner wirkten gelassen. Er hatte das Gefühl, dass sie so etwas nicht zum ersten Mal sahen – und dass auch ihre eigene Version des Todes mit einem Lichtschalter wenig gemein hatte.
»Wollen Sie, dass wir den Doktor holen?«, fragte einer der älteren Portiers, indem er Shep zur Seite nahm. Als Shep den Kopf schüttelte, erklärte der Portier: »Nein, keinen Doktor vom Krankenhaus in Mkoani. Uganga . Sehr mächtig in Pemba. Eine große Kraftader läuft direkt unter Ihrem Zelt entlang.«
»Uganga?« Shep hatte das Wort gelernt. »Nein, danke. Wir haben unserer eigenen schwarzen Magie den Rücken gekehrt. Wir haben nicht vor, uns an irgendwelche Hexenmeister zu wenden, das wäre dasselbe in Grün.«
Shep und die anderen fünf hielten Wache. Wenn sie wach war, sich wälzte und aufschrie, setzte er sich aufs Bett und hielt sie im Arm oder zog ihren Kopf auf seinen Schoß. Er legte ihr auf ihrem tragbaren CD-Player ihre Lieblings-CDs ein: Jeff Buckley, Keith Jarrett, Pat Metheny. Nach Ansicht seines Vaters war das, was Glynis am meisten brauchte, Körperkontakt: Berührungen. Das gleichmäßige Schnarren einer
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