Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
menschlichen Stimme, wobei es nicht die geringste Rolle spielte, was derjenige sagte. Um sie also zu beruhigen, erzählte er ihr alles von Pemba, was er von den Portiers, Zimmermädchen und Kellnerinnen wusste, die sich ihrerseits über sein Interesse für ihre Insel gefreut hatten.
»Nelken«, betonte er und achtete dabei auf eine ruhige und tiefe Stimme. »Früher war diese Insel dafür die weltgrößte Quelle. Wir denken selten über Nelken nach, außer im Zusammenhang mit Pfirsichen oder Torten. Aber sie waren mal unglaublich wichtig als Konservierungsmittel und als Betäubungsmittel. Wusstest du, dass Nelken mal mehr wert waren als ihr Gewicht in Gold? Der Staat hier hat die Ernte heute rigoros unter seiner Kontrolle, und die Bauern müssen ihre sämtlichen Nelken an die Regierung verkaufen – zu einem sehr schlechten Preis, wie es heißt. Also gibt es Nelkenschmuggler, unglaublich, oder? Die bringen die Schmuggelware säckeweise in Booten nach Mombasa, wo sie mehr Geld dafür bekommen. Es ist sehr gefährlich, und wer erwischt wird, landet im Gefängnis. Aber das Schlimme ist, dass der Nelkenmarkt eingebrochen ein. Für medizinische Zwecke werden sie kaum noch benutzt. Weil es Kühlschränke gibt, werden sie nicht mehr als Konservierungsmittel gebraucht. Der größte Markt ist der Nahe Osten, wo man damit parfümierte Zigaretten herstellt.«
Sie regte sich. »Wenn es keinen Markt gibt …«, murmelte sie, »warum dann das Gefängnis riskieren?«
Er hatte gar nicht damit gerechnet, dass sie ihm zuhörte, und er war stolz auf sie; stolz, dass sie sich noch immer Mühe gab, präsent zu bleiben, seiner Begeisterung gegenüber nachsichtig zu sein; stolz, dass sie noch immer ein Gespräch führen wollte. Sie hatte sich immer gern mit anderen unterhalten – es gehörte zu den vielen Freuden, über die man nicht nachdachte, bis sie einem entzogen wurden. Unterhaltungen, sinnierte er, gehörten zu den größten Wonnen des Lebens. Sich mit ihr zu unterhalten würde ihm außerordentlich fehlen.
»Ich vermute, dass selbst ein Bruchteil der Ernte, die keiner wirklich haben will, für hiesige Verhältnisse viel Geld einbringt. Das war doch immer der Grundgedanke des Jenseits, oder? Jedenfalls, das Lustige daran ist, die Wapemba verwenden Nelken gar nicht zum Kochen. Sie halten sie für ein Aphrodisiakum. Oder wie ich von unserem Fahrer erfuhr: ›Gut für häusliche Dinge‹.«
Sie lachte in sich hinein, musste aber husten. Er hielt ihr ein Taschentuch vor den Mund und wischte ihr den rosafarbenen Schleim von den Lippen.
»Pemba sehen und sterben«, sagte sie mit listigem kleinem Lächeln, nachdem sie aufgehört hatte zu husten.
Der Satz klang wie ein Zitat, und Shep wusste nicht, was sie damit sagen wollte. Es überkam ihn ein seltenes Gefühl des Bedauerns, dass er nie studiert hatte.
DOCH, ACH, AM zweiten Tag war es vorbei mit den Unterhaltungen. Zumindest in dem Sinne, wie sie Shep fehlen würden.
»Tut weh«, sagte sie, worauf er ihr wieder zwei Tropfen Morphium auf die Zunge träufelte. »Nein«, sagte sie, aber nicht als Antwort auf irgendeine Frage. »Scheiße«, sagte sie. »Oh Gott«, sagte sie und ballte die Bettdecke so fest in der Faust zusammen, dass beim Loslassen ein Abdruck zurückblieb. »Heiß«, sagte sie, oder »kalt«. Eiswürfel in den Mund schieben, den Deckenventilator höher schalten oder die Bettdecke hoch- oder wegziehen – das musste genügen für das absurde Ideal ihres Wohlergehens .
Carol hatte sich gefragt, ob sie die Kinder von ihr fernhalten sollte. Doch Gabe drängte sie, das Gegenteil zu tun. Ihren Tod zu bezeugen, sagte er, sollte einen Teil, ja sollte vielleicht endlich den Beginn ihrer Entwicklung darstellen. Es könnte Heather helfen, mit dem Schicksal ihres Vaters besser umzugehen, statt bis zum Umfallen den Werbespot seines abscheulichen Arbeitgebers nachzusingen und beim Frühstück Schokocroissants in sich hineinzustopfen. Des Weiteren könnte es Flicka lehren, nicht immer wieder mit dem Holzhammer auf ihren eigenen Tod hinzuweisen, und Zach, nun – Glynis war seine Mutter. Also bezogen sie die Kinder mit ein, die ihr reihum mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlten, mit einem Africa Geographic -Magazin Luft zufächelten und ihre Kissen aufschüttelten.
Nach einer großzügigen Dosis Morphium gab es jedoch Phasen, in denen Glynis in einen Dämmerschlaf sank, und zwei Tage und zwei schlaflose Nächte waren eine lange Zeit für eine Wache. Zu lange, um betroffen zu
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