Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
Vom Netzwerk:
sein, um fortgesetzt Trübsal zu blasen. Als Carol ihre Kinder also zum ersten Mal ermahnen musste, weil sie gekichert hatten, sagte Shep zu ihr, nein, schon gut; lachen sei sogar völlig in Ordnung. In Wahrheit hatten sie streckenweise bei der Totenwache sogar richtig Spaß. In der ersten Nacht leerten Carol, Shep und sein Vater zusammen eine Flasche Bourbon, und von da an floss ein steter Strom von Cabernet, Kilimandscharo-Bier und noch mehr Champagner. Die Küche von Fundu lieferte dem Zelt zu jeder Mahlzeit ein sich biegendes Tablett mit Bergen von Mangos, Ananas und Papayas; gegrillten Hummerschwänzen, Garnelencurrys und gekochtem Maniok; Schokobrötchen, Eclairs und ganzen Kokosnusstorten. Er forderte die Kinder auf, schwimmen zu gehen oder sich in der Nachmittagshitze zu Flicka ins Tauchbecken zu setzen. Er bewunderte ihre Beute von den Strandspaziergängen, ungewöhnliche Muscheln, die sie als Opfergabe um das Bett herum arrangierten.
    Seine eigene Opfergabe bestand aus Glynis selbst. Nachdem am Ende des zweiten Tages die Sonne untergegangen war, steckte er rings um das Zelt ein Dutzend Fackeln an. Er rollte das Besteckbündel aus, das er im Crescent Drive eingepackt hatte. Er ordnete die Stücke entlang den Regalen an, stützte das Salatbesteck gegen Heathers Muscheln, sodass die rote Einlegearbeit das Kerzenlicht reflektierte. Er steckte die silbernen Essstäbchen in die Korallen vom Strand, bis sie so selbstbewusst aufragten, wie sie es auch im Cooper-Hewitt-Museum getan hätten. Er lehnte ihre Eiswürfelzange gegen den Champagnerkühler, der vom Kühlen einer weiteren Flasche schwitzte; er richtete die Zange so aus, dass das Leuchten der Kupfer-Titan-Einlegearbeit genau vom mittleren Kissen aus zu sehen war. Er stellte das Fischmesser in den richtigen Winkel, damit es in der flackernden Flamme zuckte, silbrig glänzend wie die Fischschwärme, die vor dem Pier von Fundu aus dem Wasser sprangen.
    Er hatte Glynis gegenüber zwar beteuert, dass die Menge ihrer Arbeiten nicht von Belang sei, doch für sich selbst wünschte er, es hätte mehr davon gegeben. Sie hatte sich clevererweise in einem Material verewigt, das weitaus haltbarer war als Fleisch und längst nicht so launisch. Das Besteck würde sie um Generationen überleben.
    Das Moskitonetz schimmerte gelblich im Kerzenlicht und hüllte mit sanftem Faltenwurf das Bett ein. Das Meer schwappte keine hundert Meter vom Zelt vor sich hin, und der Abend war gnädigerweise kühler geworden. Zikaden surrten in derselben Frequenz wie der Deckenventilator. Er betrachtete die Szenerie und dachte: Ich habe mein Bestes getan. Er hatte zwar seine Zweifel, ob Fundu auf seiner Website damit werben wollte, aber es war ein herrlicher Ort, um zu sterben.
    Doch die Nacht war lang, schon die zweite ohne Schlaf. Carol und sein Vater lösten ihn zwar ab und hielten Glynis die Hand, die sich unruhig hin und her warf, doch er hatte Angst, den Augenblick zu verpassen, und ließ die beiden nicht länger als ein paar Minuten ans Ruder.
    Gegen zwei Uhr morgens sagte sie undeutlich und trunken: »Ich halt’s nicht mehr aus«, und sie begann zu weinen. »Ich halt’s nicht …«
    »Du musst es nicht mehr aushalten, Gnu«, sagte er und neigte ihren Kopf zurück, um ihr noch ein paar Tropfen Morphium zu verabreichen.
    Auch Shep hielt es nicht mehr aus, wobei er es natürlich aushalten musste. Zu seiner eigenen Beschämung wurde ihm manchmal langweilig, und es drängte ihn, die Sache über die Bühne zu bringen. Denn ihr gemeinsames Leben, wie sie es verstanden hatten, war eigentlich schon in dem Moment vorbei gewesen, als Glynis verkündete, dass sie Krebs habe.
    Während er einst überzeugt war, dass es besser wäre, die Liebeserklärungen zu rationieren, hatte er in diesen letzten beiden Tagen so oft »Ich liebe dich, Gnu« gesagt, dass der Refrain Gefahr lief, mit seinem fortgeführten Gemurmel zum Thema Nelken zu verschmelzen. Doch er musste an die Zigarrenkiste mit dem ausländischen Geld auf seinem Nachttisch in Elmsford denken, in der er portugiesische Scheine im Wert von gut hundert Dollar gebunkert hatte. Jetzt, wo die EU auf den Euro umgestellt hatte, waren die Scheine keine gültige Währung mehr und nur noch ein Souvenir. Ebenso wie er im Duty-free-Shop von Lissabon diese restlichen Escudos hätte ausgeben sollen, schöpfte er jetzt aus dem Vollen, solange er noch die Chance hatte.
    »Wieso schnarcht Glynis denn so?«, fragte Heather, die gegen fünf Uhr morgens aus ihrem

Weitere Kostenlose Bücher