Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Bett im angrenzenden Zelt gekrochen kam.
»Weil sie sehr, sehr müde ist«, flüsterte Carol. »Jetzt geh wieder schlafen.«
Doch dies wäre den Kindern nicht möglich gewesen. Der rasselnde Atem erschütterte die ganze Anlage und verscheuchte die Buschbabys. Shep hielt seine Frau im Arm und flüsterte noch einmal, dass sie vor nichts Angst zu haben brauchte, wobei er natürlich keine Ahnung hatte. Als der leuchtend rote Rand der Sonne über dem Meer auftauchte, schien sie etwas sagen zu wollen.
»Schhh … sch …«
Er hielt sein Ohr an ihre Lippen. Sie hauchte ihm ein wenig Wärme in den Gehörgang, die sie nicht wieder einsog.
Es gab keine letzte Botschaft. Kein Abschiedswort, keine weltbewegende Erkenntnis, bevor ihr Kopf zur Seite fiel. Das schien nur gerecht. Es stand zu vermuten, dass die meisten Trauernden auf ein letztes Wort verzichten mussten. Man musste vorliebnehmen mit den Jahren ihres Lebens, die einem die Toten stattdessen hinterließen.
ALS KNACKER WURDE früher derjenige bezeichnet, der erschöpfte und kranke Nutztiere oder deren Kadaver kaufte, um sie zu Futter oder Dünger zu verarbeiten. Was nach einer morbiden Bezeichnung klingt, war seinerzeit ein respektables Handwerk, und der Familienname Knacker entstammte der mittelalterlichen Tradition, einen Mann nach seinem Beruf zu nennen: Bäcker, Zimmermann, Müller. Zusammen mit dem behütenden Beiklang seines Vornamens hatte Shepherd Armstrong Knacker immer schon einen Bogen geschlagen um die Fürsorge, die Mühsal und jenes »zu Grabe tragen«, das für gewöhnlich im entsprechenden Lebensstadium der Mensch für seine Nächsten vornimmt und sie für ihn.
In den folgenden Jahren blieb Shep seinem Taufnamen treu. Es sollte niemanden seiner Bekannten wundern, dass sich der eingefleischte Handwerker nicht auf einer afrikanischen Insel zur Ruhe gesetzt hatte, um den lieben langen Tag unter einem Sonnenschirm zu liegen und tropische Cocktails zu schlürfen. Für seinen geschickten Umgang mit Schraubenschlüssel und Metallsäge war die Nachfrage auf Pemba groß, vor allem nachdem die Einheimischen erfahren hatten, dass er zu ihnen nach Hause kam und kein Geld verlangte. Mit Unterstützung einer arabischen Wohltätigkeitsorganisation nahm er das recht ambitionierte Projekt in Angriff, für die Gemeinde einen neuen Brunnen auszuheben; auf der Insel herrschte Frischwassermangel. Dafür lernte er von den Wapemba einige todsichere Methoden, um Königsmakrelen zu fangen, und die Spielregeln von bao , alles über die Komplikationen des Landerwerbs in Tansania und die optimale Bestechung, um etwa ein neues Päckchen künstlicher Tränen erfolgreich durch den Zoll zu schleusen. (Jackson hätte sich gefreut, dass sich sein Absahner-arme-Säue-Paradigma problemlos auf andere Kontinente übertragen ließ. In Tansania wurde so häufig Toa kitu kidogo verlangt – »Gib mir eine Kleinigkeit« –, dass der Satz mit TKK abgekürzt wurde.)
Sheps Verhältnis zu den Einheimischen war freundschaftlich, doch er stammte nun mal aus einer anderen Welt, und das leichte Geplauder und Geplänkel mit Jackson auf ihren Spaziergängen über den Rundweg vom Prospect Park würde sich in der Form nicht wiederholen. Dennoch war der Austausch mit den Nachbarn gut für seine ersten Gehversuche in Suaheli, und nur weil Shep ein bisschen anders war, ließ sich keine Seite davon abhalten, weniger herzlich zu sein. Erstaunlicherweise war Pemba der einzige Ort in Afrika, den er besucht hatte, an dem die Leute nicht ständig auf Geschäftemacherei aus waren – wo Kinder und msees gleichermaßen den auffälligen msungu auf der Straße erblickten und fröhlich »Jambo! Habari yako!« riefen, einfach, weil sie sich freuten, ihn zu sehen, und nicht, weil sie seine Armbanduhr haben wollten.
Die körperliche Arbeit sorgte bald dafür, dass das ganze von Glynis verschmähte sahnestrotzende Kartoffelpüree dahinschmolz. So beschäftigt er auch war, bekam Shep jedoch immer ausreichend Schlaf, denn Schlafen stand ganz oben auf der Liste der Wonnen, die das Mesotheliom mit seinen Verheerungen ihn täglich und bewusst zu genießen gelehrt hatte. Zum Schlafen hinzu kamen das Reden, Denken, Sehen und Sein – und was Letzteres anging, hin und wieder auch mal rein gar nichts tun und sich nicht im Geringsten dabei langweilen – und unverschämt langes Duschen und Nicht-auf-dem-West-Side-Highway-im-Stau-Stehen.
Nachdem er die äußerst komplizierten sozialistischen Grundstücksscharaden
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