Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Nahrungsaufnahme bezweckt wurde, hatte der Appetit bei der Mahlzeit auch mit dem Appetit auf die Zukunft zu tun.
Genau in diesem Moment erfüllte Shep das sinnlose und dennoch überwältigende Gefühl, dass er das alles nicht wollte. Es war fast, als wenn es weggehen würde, wenn er sich der Sache nur hartnäckig genug verweigerte, ähnlich wie er hin und wieder Zach zur Rede stellen und ihm die Computerspiele verbieten musste, bis seine Noten besser wurden. Er stand hinter ihrem Stuhl und strich ihr über die Schultern, er beugte sich über sie, um sich wie ein zutrauliches Pferd mit seinem Kopf an ihre Schläfe zu schmiegen.
»Keine Frau«, sagte sie, »die auch nur einen Funken Selbstachtung hat, würde von ihrem Mann verlangen, dass er hierbleibt.«
»Ach, ich glaube nicht, dass ich hätte gehen können, unter den Umständen. Selbst ohne das alles jetzt.« Noch ein kleines Opfer – sein Selbstbild. Aber vielleicht wäre er ja wirklich am Ende gar nicht nach Pemba gefahren. Wie der perlende Hochzeitsbrunnen im Nebenzimmer gemahnte, war er schließlich ein Charakter aus Wasser.
»Und wenn ich es erst ein oder zwei Wochen später erfahren hätte?« Es war klar, dass sie im Gespräch nur Anspielungen machen und niemals spezifizieren würden, was es war, weswegen keine Frau wollte, dass ihr Mann bei ihr blieb, wohin er unter den Umständen hätte fahren sollen oder was sie ein oder zwei Wochen später hätte erfahren können, denn Zach hätte jederzeit wieder nach unten kommen können. Gespräche mit Auslassungen gingen meist nach hinten los, wie die meisten Eltern wussten. Lauschende Kinder füllten die Leerstellen mit ihren schlimmsten Ängsten. Aber was soll’s. Wobei sich Zach bei diesem Gespräch schon würde anstrengen müssen, um auf Schlimmeres zu schließen als die Fakten.
»Dann hättest du’s mir erzählt«, sagte er, »und ich wäre zurückgekommen.«
»Du hast doch gerade gesagt, du wärst sowieso nicht gefahren.«
»Es war rein hypothetisch von dir gemeint. Von mir auch. Bitte, belassen wir’s einfach dabei.«
Sein Vorschlag war lächerlich. Vor zehn Jahren hatte ihre Schwester Ruby ein Schreibset geschickt, und das Logo auf dem Sockel hatte verraten, dass es sich um ein Werbegeschenk von der Citibank handelte; danach war kein Geburtstag mehr vergangen, an dem Glynis die Kränkung nicht wieder aufwärmte. Kürzlich noch hatte Petra Carson, ihre beste Freundin von der Kunstschule, Glynis’ Bitte um Kritik dummerweise für bare Münze genommen und behutsam geäußert, dass das Fischmesser mit dem Bakelit »vielleicht etwas klobig geraten« sei; die Arme hatte es wiedergutmachen wollen, indem sie seitdem Glynis’ Bestecke über den grünen Klee lobte, aber es nützte alles nichts. Und wenn Glynis nicht in der Lage war, ihren Groll über die Zweitverwertung von Werbegeschenken und unliebsamen Bemerkungen bezüglich ihrer Schmiedearbeit aufzugeben, standen die Chancen, dass sie ihm seinen Fluchtversuch vergeben würde, eher schlecht.
Erschöpft beschloss Glynis, früh zu Bett zu gehen, und Shep versprach, bald nachzukommen. Als sie oben war, ging er hinaus auf die vordere Veranda. Der gegenüberliegende Golfplatz hatte im Dunkeln nichts mehr von seiner Gepflegtheit und hätte fast als Wildnis durchgehen können. Es war kalt und klar. Mantellos trotzte Shep der frostigen Luft, er folgte der Bahn eines Flugzeugs, das unter den Sternen vorbeizog, wartete, bis das ferne Dröhnen verebbte und die roten Lichter am Rumpf der Maschine aus dem Blick verschwanden. Dann ging er hinein, schloss für die Nacht ab und schlich auf leisen Sohlen in sein Arbeitszimmer. Unter Zachs Tür war noch Licht, also schloss er die Tür. Er nahm die e-Tickets aus der unteren Schreibtischschublade und faltete sie auseinander. Sie waren auf das heutige Datum ausgestellt. Eins nach dem anderen fütterte er mit ihnen den Reißwolf. Mit tiefem Grummeln wurden die Seiten gefressen; das Jenseits wurde zu Konfetti zermahlen und landete im Papierkorb. Den Reißwolf hatte er gekauft, um sich gegen geistigen Diebstahl zu schützen; dass die Maschine ihm nun seine eigene Identität stahl, war grotesk.
Schließlich setzte er sich an den Computer, drückte drei Mal auf die Tasten und klickte sich auf die Seite, die von der Suchmaschine aufgezeigt wurde. Als er zur Überschrift »Überlebensrate« kam, hielt er nicht mehr inne; der Sprung ins kalte Wasser war immer noch der beste Weg, schon damals als Junge beim Baden in den White
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