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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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mitgebracht haben. Vor Kurzem bin ich tatsächlich auf eine Geschichte gestoßen, da verklagt eine Mesotheliompatientin in Großbritannien das Verteidigungsministerium. Ihr Vater war auf einer Marinewerft Ingenieur für Dämmtechnik gewesen, und sie ist überzeugt, dass sie als Kind mit Asbest in Berührung gekommen sein musste, als sie ihren Vater umarmte.«
    Shep wurde selten rot, aber jetzt brannten ihm die Wangen. »Das scheint mir aber ziemlich an den Haaren herbeigezogen.«
    »Mmm«, sagte Dr. Knox. »Eine einzige Faser, an der Hand, zum Mund geführt? Unglückselig, aber nicht an den Haaren herbeigezogen.«
    Auf die Hitzewelle folgte eine Kältewelle, als sich Glynis mit vorwurfsvoller Miene zu ihm drehte. Erst ist er so gefangen von seiner »eigenen kleinen Welt«, dass seine Frau ihm nichts von ihrer tödlichen Krankheit erzählt, und jetzt hat sie sie auch noch von ihm.
    BEIM AUFSCHLIESSEN DES Wagens in der Parkgarage auf der Fort Washington Avenue brach Shep endlich das Schweigen. »Ich hab immer gedacht, Asbest wäre längst verboten.«
    »Es ist immer noch nicht verboten«, sagte Glynis und warf sich wütend in den Beifahrersitz. »1989 hat die EPA das verdammte Zeug endlich verboten, aber 1991 hat die Industrie das Verbot vor Gericht wieder aufheben lassen. Man darf es jetzt nur nicht mehr zur Wärmedämmung benutzen oder wenn man was Neues baut, das ist alles.«
    Shep merkte sofort, dass Glynis ihre Hausaufgaben gemacht hatte – unmöglich, dass der historische Hintergrund ihrem Allgemeinwissen entstammte –, wohingegen sie sich auffallend darin zurückgehalten hatte, sich ausführlich über ihre Krankheit zu informieren. Über die Nebenwirkungen der Medikamente, deren Namen und Nachteile auf diversen Websites akribisch aufgelistet waren, hatte sie nur eine vage Vorstellung; sie weigerte sich, nach unten zu scrollen. Ihre Suche am PC hatte sich offenbar nicht auf das gerichtet, was mit ihr los war oder was als Nächstes passieren würde, sondern auf die Frage nach dem Schuldigen. Diese Art fehlgeleiteter Energie war leider typisch für sie.
    »Aber wie hätte ich das denn wissen sollen?« Er ließ den Motor nicht an, starrte aber durch die Windschutzscheibe, als wäre er schon losgefahren. »Die Materialien, mit denen ich gearbeitet habe, waren dieselben, mit denen alle gearbeitet haben. Professionelle Klempner, Dachdecker … ich hab nie am falschen Ende gespart oder Materialien benutzt, von denen ich wusste, dass sie bei anderen Handwerkern in Verruf waren.«
    »Du hättest es ohne Weiteres wissen können und wissen müssen! Seit 1918 sind die Gefahren durch Asbest nachgewiesen. In den Dreißigerjahren sind immer mehr Beweise zusammengekommen, die Forschungsergebnisse sind lediglich von der Industrie verdunkelt worden. Schon 1964 wurde eine direkte Verbindung zwischen Asbest und Mesotheliom gezogen. Da hattest du Allrounder noch nicht mal gegründet! In den Siebzigern wusste jeder, dass Asbest lebensgefährlich ist. Ich bin mit diesen Geschichten aufgewachsen und du auch!«
    »Glynis, versuch doch mal zurückzudenken«, sagte Shep ruhig, besonnen, leise. »In den ersten Jahren hab ich zwölf, manchmal vierzehn Stunden am Tag gearbeitet, um Allrounder aufzubauen. Ich hatte keine Zeit, die Zeitung von vorne bis hinten durchzulesen. Und noch viel weniger hatte ich Zeit, mich jedes Mal, wenn ich eine Dose aufgemacht hab, in die Auflistung der einzelnden Inhaltsstoffe zu vertiefen.«
    »Es geht hier nicht darum, dass du jede kleinste Wendung der Friedensverhandlungen im Nahen Osten hättest mitverfolgen sollen. Es wäre aber deine Pflicht gewesen, dich auf dem Laufenden zu halten über die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken im Zusammenhang mit deiner eigenen Arbeit. Und die nötigen Recherchen anzustellen und sichere Produkte zu wählen und keine tödlichen . Nicht nur deinetwegen – sondern, übrigens, deiner Frau und Kinder wegen. Und was ist mit deinen Angestellten?«
    »Ich hab keine Angestellten mehr«, sagte er leise. »Glynis, was soll das? Ist das die Rache für Pemba?«
    Sie fuhr unbeirrt fort. »Diese Firmen werden alle seit Jahrzehnten bis zum Gehtnichtmehr verklagt, und was machst du? Steckst den Kopf in den Sand und willst davon nichts wissen!«
    Shep war nie ein Mann für ideologische Kämpfe gewesen. Es lag in seiner Natur, die Dinge immer von zwei Seiten zu betrachten; schlimmer noch, von möglichst vielen Seiten, sodass seine Bekannten oft fälschlicherweise glaubten, er habe

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