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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Begrüßungsfloskeln ausgetauscht, klingelte auch schon ihr Handy. Mit gerunzelter Stirn warf sie einen Blick auf ihr Display und sprach das Credo der zeitgenössischen Arbeitsbiene: »Tut mir leid, aber da muss ich jetzt rangehen.«
    In der Klinik waren Handys verboten, angeblich, weil das Signal die empfindlichen Geräte störte. (Totaler Quatsch, wie Jackson bei seinen Internetrecherchen wegen Flicka herausfand. Sie wollten einfach nur den Wucherpreis für die Haustelefone kassieren. Aber er hatte nie den Mut aufgebracht,um einer Krankenhausleitung die Ergebisse seiner Recherche vor die Nase zu knallen. Dieses unmännliche, duckmäuserische Verhalten musste er dringend ändern.) Also ging Ruby hinunter, um von der Straße aus zurückzurufen, und ließ ihn mit Deb allein, einer pummeligen Frau, die nutzlos guten Willen verströmte. Mit ihrem knallengen orangefarbenen Rollkragenpullover und dem matronenhaften langen Wickelrock tat sie sich keinen Gefallen. »Seit ich es weiß, bete ich für Glynis«, sagte sie. »Unsere ganze Kirche in Tuscon betet für sie. Sie wissen ja, es gibt Studien dazu. Es funktioniert wirklich.«
    »Hören Sie, Jackson, wir haben schon besprochen, wie wir’s am besten machen«, sagte Hetty und legte ihm die Hand auf den Arm. »Glynis wird sehr müde sein, und sie soll sich auf keinen Fall überanstrengen. Ich denke, wir sollten hintereinander reingehen und nicht allzu lange bei ihr drinbleiben. Shep ist gerade bei ihr, und wenn Sie noch etwas Zeit haben, Jackson, haben wir gedacht, dass Deb als Nächstes reingeht, dann Ruby, und dann kann ich ihr ihre Lieblingskekse bringen.« Es war, als würde sie ihre Schulklasse vor einem Trinkbrunnen in Reih und Glied aufstellen.
    Shep schlüpfte aus der Tür und begegnete Jacksons Blick mit einem vertraulichen Augenverdreher. Es gibt wenig Befremdlicheres als anderer Leute Familien, und seinen alten Freund Jackson hier zu sehen erfüllte Shep in diesem Moment mit einem Gefühl der Sicherheit und Dankbarkeit, ähnlich wie wenn man um die Ecke biegt und sein eigenes Haus erblickt. »Ihr seid dran«, sagte Shep zu Deb und Hetty, und damit zog er Jackson hinter sich den Flur entlang.
    »Junge, das war nicht leicht«, murmelte er. »Glynis dazu zu überreden, ihre Familie zu empfangen, die sich extra aus Arizona hat einfliegen lassen. Fast hätte ich sie unverrichteter Dinge nach Elmsford zurückchauffieren müssen. Sie fühlt sich elend und sieht nicht ein, warum sie sich jetzt anstrengen muss, damit sich andere besser fühlen. Diese Besucherei … Dass du da bist, wird sie freuen, da bin ich mir sicher. Aber die Familie ist für Glynis eine Zumutung. Sie ist total genervt.«
    »Aber wie würde sie sich denn fühlen, wenn niemand käme, um sie zu besuchen?«
    Shep lächelte. »Total genervt.«
    »Wenn sie sich nicht unmöglich benehmen würde«, sagte Jackson, »dann müsstest du dir Sorgen machen.«
    »Stimmt. Aber ich mach mir trotzdem Sorgen.«
    Sie schlenderten in Richtung Krankenzimmer zurück, wo die Tür halb offen stand, und die Versuchung zu lauschen war unwiderstehlich. Ruby war zwar wieder da, doch auch sie und ihre Mutter unterhielten sich nur halbherzig. Niemand wollte die Show verpassen.
    »Ich fass es nicht, dass ich hier nach einer schweren Operation im Krankenhaus liege und du die Situation ausnutzt, um mich zu missionieren.« Glynis’ Stimme war etwas undeutlich selbst von der geringeren Dosis Morphium, doch Jackson war erleichtert, dass ihre gewohnte Schroffheit herauszuhören war. »Mir geht es wirklich schlecht genug.«
    »Und wenn ich doch recht habe?«, fragte Deb inständig. »Glyn, es ist doch alles ganz logisch. Wenn du recht hast und uns nicht mehr erwartet als ein großes schwarzes Nichts, dann spielt es doch keine Rolle, an was man glaubt. Aber wenn ich recht habe – wenn Jesus recht hat –, musst du ihn als deinen Erlöser annehmen, um in den Himmel zu kommen. Es ist doch sinnvoll, sich rückzuversichern, meinst du nicht auch? Es ist so ähnlich wie Mathematik, verstehst du? Auf deine Weise bekommst du am Ende definitiv nichts, auf meine Weise hat man die Chance auf ewiges Leben. Wenn die Lotterie schon nichts kostet, warum dann nicht ein Gratislos ziehen? Deine Lehrer haben doch immer alle gesagt, du wärst so intelligent.«
    »Darauf werd ich mich nicht einlassen«, krächzte Glynis. »Und ich schätze es überhaupt nicht, dass du extra nach New York gekommen bist, um mich abzuschreiben. Ich will nicht in den Himmel.

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