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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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»Wunder mich«, glaubte er sie sagen zu hören, wobei sie den Blick über die Zimmerdecke gleiten ließ. »Alles so unglaublich.«
    Tja, offenbar sah das Zimmer für sie anders aus als für ihn. »Versuch mal, nicht so viel zu reden.«
    »Die Träume – sind so echt. So lang und kompliziert. Irgendwas mit einer silbernen Krone. Die wurde mir geklaut, und du hast mir geholfen, mich zu rächen –«
    »Schh. Kannst du mir später erzählen.« Später würde sie sich nicht erinnern. »Weißt du, wo du bist? Erinnerst du dich, was passiert ist und warum du hier bist?«
    Glynis holte tief Luft, und beim Ausatmen klappte irgendetwas zusammen. Sie sank in ihre Matratze. »Schon ewig nicht mehr.« Jetzt war ihre Stimme nur noch ein Krächzen, kein Schnurren mehr. »Es war so schön, als würde die Zeit rückwärts laufen. Aber sie kam mir entgegen. Wer hätte gedacht, dass man vergessen kann, dass man Krebs hat. Aber es geht, und sofort ist alles ganz weich. Und dann kommt die Erinnerung wieder, und das ist das Schreckliche daran. Als müsste man alles noch mal von vorne durchmachen.«
    »Und schon wieder allein«, sagte er. »Du hättest dir niemals allein deine Diagnose stellen lassen dürfen, Gnu. Ich hätte dabei sein müssen.«
    »Egal. Man ist sowieso allein.«
    »Nein, das bist du nicht.« Doch, sie war es.
    »Operation. Keine Sorge, ich versteh schon, so neben der Spur bin ich nicht. Das war der eine Trost, als ich mich wieder erinnern konnte.« Noch eine schwere Schluckbewegung. »Weil ich mich auch erinnern konnte, dass sie’s rausgekratzt haben.«
    Nicht alles, längst nicht alles wäre wohl keine therapeutisch sinnvolle Antwort gewesen. Dennoch war sie zurechnungsfähiger, als er gedacht hätte, nur leicht benebelt, und er hatte dem Doktor versprochen, dass er es ihr sagen würde. Der Arzt wollte am späten Vormittag vorbeikommen und selbst mit ihr sprechen. Wenn Shep ihr die Nachricht beibringen wollte – schonend war das gebräuchliche Adverb, wobei es an dieser Nachricht nichts Schonendes gab –, würde er es jetzt bei diesem Besuch tun müssen.
    »Gnu, die Operation ist sehr gut verlaufen. Dein Zustand ist wieder stabil, und du kommst gerade wieder zu Kräften. Es gab keine Komplikationen. Oder, vielmehr, eine Komplikation gibt es. Das heißt, sie haben da was … gefunden.« Es war derselbe Text, den er immer wieder am Telefon geübt hatte. Ein weniger optimistisches Ergebnis . Derselbe Satz.
    »Keine Ausgänge«, war alles, was sie sagte, als er geendet hatte. »Gott sei Dank. Nichts, was ich Flicka ins Gesicht gesagt hätte, aber vor diesem Plastikausgießer habe ich mich immer gegruselt. Als wäre man halb Mensch und halb … Kaffeesahnebehälter.«
    Er zwinkerte. Es war, als hätte sie ihn nicht gehört. »Hast du alles verstanden, was ich dir gerade gesagt habe?«
    »Ja, ja.« Sie klang verärgert. »Andere Zellen, keine Ausgänge, Chemo. Chemo wollten wir ja sowieso machen.«
    Die Botschaft war überhaupt nicht angekommen. Vielleicht lag es am Morphium.
    Shep hatte sich den Vormittag freigenommen und blieb noch, um auf den Arzt zu warten. Hartness verspätete sich, und Shep gab sich alle Mühe, nicht wütend zu werden auf den Mann, der sich im Namen seiner Frau so ins Zeug gelegt hatte. Dennoch, zwei Stunden mehr würden ihn einen Teil seiner Nachmittagsschicht kosten. Er konnte es sich nicht leisten, so viele ganze Tage zu fehlen. Das Gespräch aufrechtzuerhalten war schwierig, und nachdem Glynis eingenickt war, wurde ihm ein schrecklicher Kaffee gebracht, den er gar nicht haben wollte. Schließlich schlenderte der Arzt herein, und Shep konnte von außen noch einmal dasselbe Drama verfolgen, dieselbe Erwähnung der biphasischen Zellen, dieselbe fehlende Kenntnisnahme vonseiten Glynis’ – keine Enttäuschung, keine Fragen, keine Tränen.
    Dr. Hartness ging rasch zum Appell über. »Aber glauben Sie ja nicht, dass wir jetzt das Handtuch werfen. Wir werden Sie sofort auf Alimta setzen. Das ist ein sehr wirksames Medikament. Wir werden alle Register ziehen. Wir haben die Absicht, gegen diese Sache aggressiv vorzugehen.« Aggressiv war ein Wort, das die Zunft gern auf den Krebs selbst bezog, und die Wahl desselben Adjektivs in Bezug auf die Gegenmaßnahme beschwor wieder einmal einen Kampf herauf – einen Kampf gegen das Wetter. Gegen einen Schneesturm, eine Sturmbö.

Kapitel 8
    Jackson warf sich die Tylenols ein wie TicTacs, und allmählich fragte er sich, warum er von den Antibiotika

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