Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
Vom Netzwerk:
es auf dem Flur so langweilig war, ließ Ruby die Tür sperrangelweit offen. Da Shep von Begrüßungsküsschen abgeraten hatte, drückte Ruby ihrer Schwester nur den linken Fuß, ehe sie einen Stuhl heranzog und ihre langen, dürren Beine auf das Seitenteil des Bettes aufstützte. »Musstest du Deb so in den Boden rammen? Das ist doch kein Gegner für dich.«
    »Für stärkere Gegner fehlt mir die Kraft. Außerdem ist es empörend, das hier als Anlass zu nehmen, um mich mal wieder bekehren zu wollen.«
    »Sie wollte dich nur trösten. Die Jesusnummer ist doch alles, was sie hat.«
    »Die ist total gebrainwashed. Ich komm mir vor, als hätte ich Besuch von einem Killerzombie gehabt.«
    Ruby warf einen Blick in Richtung der Familie und sagte leise: »Sie kann uns hören.«
    »Ist mir doch egal.«
    »Aber sie glaubt ja wirklich dran. Dass wir das nicht tun, heißt doch nicht, dass sie es nicht ehrlich meint.«
    »Ich hasse Ehrlichkeit.«
    »Toll. Dann will ich mal versuchen, so oberflächlich und falsch wie möglich zu sein.«
    »Das wäre super.«
    »Und – wie geht ’ s dir ?«, fragte Ruby. Diese aufdringliche, emphatische Ansprache, dieses Sich-in-die-Wörter-Lehnen war bei Krankenhausbesuchen gewiss gang und gäbe und ging vermutlich jedes Mal nach hinten los.
    Glynis seufzte. »Was soll ich sagen? Mir tut alles weh. Ich kann nachts nicht schlafen. Fünf Minuten hier im Dunkeln gehen so schnell vorbei wie das Paläozoikum. Tagsüber bin ich entsprechend groggy. Ich muss ständig mit Leuten wie dir Konversation betreiben, wo es überhaupt nichts zu reden gibt. Denn was ist schon passiert? Der Fernseher ist winzig und empfängt nur analoges Fernsehen mit Schnee. Nachmittags fällt die Sonne auf den Bildschirm, und man kann nichts erkennen. Und bei den ganzen Schmerzmitteln kann ich mich ohnehin nicht mal auf die Reklame für die neuen Lidschattenfarben der Frühlingskollektion konzentrieren. Ich grusel mich vor dem Infusionsschlauch in meiner Hand. Ich habe ständig Angst, dass das Pflaster abgeht und die Nadel aus der Ader gerissen wird. Ich habe inzwischen gelernt, nicht hinzugucken.«
    Jackson wusste, was sie damit meinte, wobei er selbst zwischen Nichthingucken und obsessivem Begutachten schwankte.
    »Vom Essen wird mir schlecht«, fuhr Glynis nach einem Schluck Wasser fort. »Wenn ich etwas bei mir behalten kann, bekomme ich Verstopfung, und dann bekomme ich einen Schlauch in den Hintern geschoben. Wenn Shepherd nicht da ist, um mit mir zur Toilette zu gehen, hören die Schwestern mein Klingeln oft nicht. Also brech ich mir einen mit der Bettpfanne ab. Ich pinkel mir das Bettzeug und die Beine voll. Wolltest du das wirklich alles wissen?«
    »Klar.«
    »Du lügst. Bald werden mich die Leute fragen: ›Und, wie geht ’ s dir?‹, und ich werde sagen: ›Gut.‹ Und alle sind glücklich.«
    »Und wann kommst du hier raus?«
    Bestimmt hatte sie die Frage schon einige Male beantwortet. »In einer knappen Woche«, stieß sie undeutlich und gelangweilt hervor.
    »Mama und Deb bleiben noch. Aber ich muss wahrscheinlich noch vor deiner Entlassung wieder zurückfliegen.«
    »Du bist doch gerade erst angekommen, und das Erste, was ich von dir höre, ist, dass du schon wieder abreisen musst.« Das war dick aufgetragen, wenn man bedachte, dass Glynis ihre Familie überhaupt nicht hatte sehen wollen, aber vielleicht war es ein gutes Zeichen, dass sie ihre Krankheit auf diese Weise instrumentalisierte. Es bedeutete, dass sie immer noch sie selbst war.
    »Das war nicht das Erste, was du von mir gehört hast. Aber das 4th-Avenue-Straßenfest fängt diese Woche an, und wir haben da einen Stand. Es muss jemand in der Galerie sein, um auf den Laden aufzupassen.«
    »Klar, noch mehr Geldscheffeln ist natürlich wichtiger als eine Schwester, die Krebs hat.«
    »Glynis. Das Leben geht weiter.«
    »Für manche schon.«
    »Ja, Glyn, für manche schon«, sagte Ruby. »Und dafür kann ich nichts.«
    »Ich dachte, deine Galerie läuft wie geschmiert. Du hast Geld wie Heu.«
    »Es geht«, sagte Ruby bescheiden.
    »Was natürlich für einige Kunstschmiede hier eine echte Gelegenheit wäre, eine Schwester, die es in der Branche geschafft hat. Pech für mich.«
    Draußen im Flur stöhnte Shep. »Nicht das schon wieder.«
    Ruby fasste sich an die Schläfe. »Du hattest nicht genug Arbeiten für eine Einzelausstellung.«
    »Genau, weil ich so faul bin. Weil ich die ganze Zeit in meinem schönen Haus sitze und Bonbons lutsche.«
    »Weil du

Weitere Kostenlose Bücher