DIESES MAL IST ALLES ANDERS
Kapitalzuflüsse in Schwellen- und Transformationsländer ausgesprochen prozyklisch sind (das heißt, sie sind höher, wenn die Wirtschaft boomt, und niedriger während eines Wirtschaftsabschwungs). Prozyklische Kapitalzuflüsse können die Tendenz in diesen Ländern zu einer ebenfalls prozyklischen Politik verstärken. Die Tatsache, dass die Kapitalzuflüsse in einer Rezession kollabieren, ist vielleicht der Hauptgrund dafür, dass Schwellen- und Transformationsländer im Gegensatz zu reichen Ländern oft gezwungen sind, sowohl die fiskalpolitischen als auch die geldpolitischen Zügel während einer Rezession anzuziehen, womit der Konjunkturabschwung noch verstärkt wird. 12 Ein eingeschränkter, aber stabiler Zugang zu Kapitalmärkten im Verhältnis zu den wiederkehrenden Auf- und Abschwungmustern, die wir so oft beobachten, kann durchaus wohlfahrtssteigernd sein. Die tief verankerte Vorstellung, der Wachstumskurs einer aufstrebenden Ökonomie werde von einem begrenzten Zugang zu Kreditmärkten behindert, ist keineswegs mehr so überzeugend, wie sie einmal war.
Die zuvor erwähnte wissenschaftliche Literatur trifft nicht nur eine scharfe Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Typen der Kapitalströme – zum Beispiel Schulden, Eigenkapital und ausländische Direktinvestitionen – beziehungsweise zwischen lang- und kurzfristigen Schulden. Praktische politische Entscheidungsträger machen sich natürlich berechtigterweise Gedanken über die genaue Form der grenzüberschreitenden Kapitalströme, wobei den ausländischen Direktinvestitionen im Allgemeinen positivere Eigenschaften zugeschrieben werden als einer Schuldenaufnahme (ausländische Direktinvestitionen sind tendenziell weniger volatil und generieren eher indirekte Nutzen wie zum Beispiel Technologietransfer). 13 Generell teilen wir die Auffassung, dass ausländische Direktinvestitionen und Kapitalinvestitionen etwas weniger problematisch sind als eine Schuldenaufnahme, aber man sollte das nicht zu euphorisch sehen. In der Praxis sind die drei Formen der Kapitalzuflüsse oft miteinander verknüpft (zum Beispiel werden ausländische Unternehmen oft schon vor dem eigentlichen Erwerb oder der Errichtung von Fertigungsanlagen Geld ins Land bringen). Darüber hinaus können Derivatkontrakte diese drei Kategorien verwischen. Selbst der gewissenhaftesten statistischen Erhebung könnte es schwerfallen, zwischen den unterschiedlichen Arten an ausländischen Kapitalzuflüssen akkurat zu unterscheiden (abgesehen von der Tatsache, dass es manche Länder im Zweifelsfall vorziehen, eine bestimmte Investition als ausländische Direktinvestition zu bezeichnen, um ihre Verwundbarkeit geringer erscheinen zu lassen). In Anbetracht dieser Qualifikationen glauben wir dennoch, dass die Regierungen entwickelter Länder mehr tun können, um eine exzessive Abhängigkeit von riskanten nicht indexierten Schulden im Verhältnis zu anderen Formen der Kapitalströme zu vermeiden. 14 Und schließlich muss angemerkt werden, dass kurzfristige Kredite – die im Hinblick auf das Auslösen einer Schuldenkrise typischerweise als die problematischsten gelten – den Handel mit Waren ermöglichen und notwendig sind, damit private Akteure in gewissem Maße Hedging-Strategien umsetzen können. Selbstverständlich leuchtet ein, dass sich die größten Nutzen eines Zugangs zu den Kapitalmärkten bei einer relativ niedrigen Auslandsverschuldung gemessen am BIP realisieren lassen.
Alles in allem muss Schuldenintoleranz keineswegs fatal für Wachstum und makroökonomische Stabilität sein, aber sie ist ein ernsthaftes Hindernis. Die gehäuften Zahlungsausfälle, die in diesem Buch präsentiert werden, legen allerdings die Vermutung nahe, dass es zur Überwindung der Schuldenintoleranz notwendig ist, dass die politischen Entscheidungsträger die Staatsverschuldung über lange Zeit kontinuierlich gering halten und gleichzeitig verstärkt grundlegende Strukturreformen durchführen, um zu gewährleisten, dass ihr Land höhere Schuldenlasten verkraften kann, ohne Intoleranzen zu entwickeln. Das gilt nicht nur für Auslandsschulden, sondern auch für das erneut auftretende Problem der Inlandsstaatsschulden. Politiker, die unter einem hohen kurzfristigen Druck stehen, werden sich nach wie vor für eine hochriskante Schuldenaufnahme entscheiden. Und zum entsprechenden Preis wird der Markt sie gewähren lassen. Das Begreifen des grundlegenden Problems sollte zumindest den Bürgern eines Landes Orientierung
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