DIESES MAL IST ALLES ANDERS
bankrotte Neufundland dazu, eine kanadische Provinz zu werden. Neufundlands Finanzkurs in Richtung Zahlungsausfall zwischen 1928 und 1933 lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Jahr
Gesamtschulden (in Mio.)
Verhältnis der Staatsschulden zu Staatseinnahmen
Zinszahlungen als Anteil der Staatseinnahmen
1920
nicht verfügbar
nicht verfügbar
0,20
1928
79,9
8,4
0,40
1929
85,5
8,6
0,39
1930
87,6
7,6
0,36
1931
87,6
9,0
0,44
1932
90,1
11,4
0,59
1933
98,5
12,6
1,58
Quellen: Baker (1994); Völkerbund Statistical Yearbook (verschiedene Jahre), sowie Berechnungen der Autoren.
Anmerkungen: Das Verhältnis der Staatsschulden zu den Staatseinnahmen zum Zeitpunkt des Zahlungsausfalls für einen Durchschnitt von 89 Episoden beträgt 4,2.
Spezifische Ereignisse beschleunigten diesen Kurs:
Zwischen 1928 und 1933 sanken die Staatseinnahmen, die nach wie vor im Wesentlichen aus Zöllen bestanden, und das Verhältnis der Staatsschulden zu den Staatseinnahmen stieg (siehe unten stehende Tabelle). Zudem wurden die Forderungen nach Hilfszahlungen lauter, ausgelöst durch schlechte Fischfangquoten in den Jahren 1930 bis 1932. Die Kosten des Schuldendienstes wurden untragbar.
1928–1933
Die Fischpreise brachen um 48 Prozent ein, die Preise für Zeitungspapier um 35 Prozent. Der Wert der Gesamtexporte fiel im gleichen Zeitraum um 27 Prozent, die Importe um 44 Prozent. 16
Anfang 1931
Die ernsten Schwierigkeiten mit der Schuldenrückzahlung begannen, als die Regierung Kredite aufnehmen musste, um ihren Schuldendienst zu erfüllen.
17. Februar 1933
Die britische Regierung berief eine Kommission ein, um die Zukunft Neufundlands und insbesondere seine Finanzsituation und deren Aussichten zu untersuchen.
4. Oktober 1933
Die erste Empfehlung der Kommission lautete, die bestehende Regierungsform so lange auszusetzen, bis die Insel wieder auf eigenen Füßen stehen könne.
21. Dezember 1933
Das Kreditgesetz Loan Act wurde verabschiedet, womit Neufundland seine Unabhängigkeit aufgab, um einen Zahlungsausfall zu verhindern.
Schon eine ganze Weile, bevor sich die Schwierigkeiten mit der Bedienung der Auslandsschulden im Jahr 1931 manifestierten, bewegten sich Neufundlands Fiskalfinanzen bereits auf wackeligem Boden. Anhaltende Steuerdefizite in den relativ wohlhabenden 1920er-Jahren hatten zu steigenden Schulden (zumeist Auslandsschulden) geführt. Das Verhältnis der Staatsschulden zu Staatseinnahmen, das zu Beginn der Großen Depression ungefähr 8 betrug, lag doppelt so hoch wie dieselbe Quote in rund 90 anderen Fällen von Auslandsschuldenkrisen! Im Jahr 1932 verschlangen allein die Zinszahlungen den Löwenanteil der Einnahmen. Ein Zahlungsausfall erschien unvermeidlich. Technisch (und nicht nur technisch) betrachtet, geriet Neufundland allerdings nicht in Zahlungsverzug.
David Hale merkt dazu an: »Die politische Geschichte Neufundlands in den 1930er-Jahren gilt heute als Randkapitel der Geschichte Kanadas. Es herrscht praktisch kein Bewusstsein für die außerordentlichen Ereignisse, die sich damals zutrugen. Das britische Parlament und das Parlament eines souveränen Hoheitsgebietes einigten sich darauf, dass die Demokratie sich den Schulden unterzuordnen habe. Das älteste Parlament im Britischen Empire – nach Westminster – wurde abgeschafft und über 280.000 englischsprachige Bürger, die 78 Jahre der direkten Demokratie gelebt hatten, wurde eine Diktatur verhängt. Die britische Regierung nutzte damals ihre konstitutionelle Macht, um das Land in die föderale Struktur Kanadas zu drängen.« 17
Zwar nicht ganz im selben Extrem wie Neufundland, aber auch Ägypten, Griechenland und die Türkei opferten England nach ihren jeweiligen Schuldenkrisen im 19. Jahrhundert einen Teil ihrer Souveränität (zumindest soweit die Regierungsfinanzen betroffen waren). Die USA richteten 1907 ein Steuerprotektorat in der Dominikanischen Republik ein, um die Zollhäuser zu kontrollieren, und besetzten das Land anschließend im Jahr 1916. Außerdem intervenierten sie in Haiti und Nicaragua, ebenfalls um die Zollhäuser zu kontrollieren, und beschlagnahmten die Einnahmen als Schuldenrückzahlungen. Das waren die Tage der Kanonenboot-Diplomatie.
Eine zynischere Erklärung weist auf die Möglichkeit hin, dass Gläubiger bereit sind, ihren wiederholt säumigen Schuldnern ein größeres Entgegenkommen zu zeigen, wenn multilaterale Kreditinstitutionen wie der IWF Rettungspakete schnüren. Es bleibt jedoch die Tatsache, wie Eichengreen in mehreren Beiträgen
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