DIESES MAL IST ALLES ANDERS
wurde klar, warum der von Reinhart, Rogoff und Savastano verwendete Entschuldungsalgorithmus zwölf der 17 Brady-Umschuldungen unberücksichtigt lässt:
• In zehn der zwölf Fälle betrug der Rückgang der Auslandsschulden im Verhältnis zum BIP, der durch die Brady-Umschuldung erreicht wurde, weniger als 25 Prozentpunkte. Tatsächlich war die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP in Argentinien und in Peru drei Jahre nach der Brady-Umschuldung höher als im Jahr vor der Schuldenrestrukturierung!
• Im Jahr 2000 wiesen sieben der 17 Länder, die eine Brady-ähnliche Schuldenrestrukturierung vorgenommen hatten (Argentinien, Brasilien, Ecuador, Peru, die Philippinen, Polen und Uruguay), höhere Schuldenquoten im Verhältnis zum BIP auf als noch drei Jahre nach ihrer Schuldenrestrukturierung. Und Ende 2000 lag die Schuldenquote von vier dieser Länder (Argentinien, Brasilien, Ecuador und Peru) höher als vor der Brady-Umschuldung.
• Im Jahr 2003 waren vier Teilnehmer an Brady-Umschuldungen (Argentinien, Ecuador, Elfenbeinküste und Uruguay) erneut von einem Zahlungsausfall auf ihre Auslandsschulden beziehungsweise einer Restrukturierung ihrer Auslandsschulden betroffen.
• Im Jahr 2008 – weniger als 20 Jahre nach der Umschuldung – war Ecuador zum zweiten Mal in Zahlungsverzug geraten. Einige weitere Teilnehmer der Brady-Umschuldungen werden womöglich bald folgen.
Im folgenden Kapitel dokumentieren wir die wiederkehrenden (gehäuften) Zahlungsausfälle nach Ländern, Regionen und Epochen. In diesem Rahmen werden wir auf einige berühmte Episoden sowie kaum dokumentierte Zahlungsausfälle beziehungsweise Schuldenrestrukturierungen in den heute entwickelten Ökonomien und mehreren asiatischen Ländern eingehen.
Auslandsschuldenkrisen im Lauf der Geschichte
Die heutigen Schwellen- und Transformationsländer sind nicht die Erfinder des Phänomens der gehäuften Zahlungsausfälle – das heißt wiederholter Schuldenkrisen souveräner Staaten. Vielmehr hatte eine Reihe der heute wohlhabenden Länder ähnliche Probleme, als sie noch aufstrebende Ökonomien waren. Gehäufte Zahlungsausfälle bei Auslandsschulden sind in jeder Region der Welt die Norm, einschließlich Asien und Europa.
Die Reichweite (Zeitverlauf) und der Umfang (Zahl der Länder) unseres Datensatzes liefern einen wichtigen Nutzen für das Verständnis von Zahlungsausfällen: Sie ermöglichen uns die Erkenntnis, dass fast alle Länder mindestens einmal in eine Auslandsschuldenkrise geraten sind, und viele während ihrer Phase als aufstrebende Ökonomie – eine Phase, die typischerweise ein bis zwei Jahrhunderte dauert – sogar mehrmals.
Die frühe Geschichte der gehäuften Zahlungsausfälle: das aufstrebende Europa, 1300–1799
Die heutigen Schwellen- und Transformationsländer können schwerlich von sich behaupten, die Erfinder des Phänomens der gehäuften Zahlungsausfälle zu sein. In Tabelle 6.1 sind eine Reihe von Zahlungsausfällen aufgeführt, darunter die Jahre zwischen 1300 und 1799, in denen einige der heute reichen europäischen Länder (Deutschland, England Frankreich, Österreich, Portugal und Spanien) in Auslandsschuldenkrisen gerieten.
TABELLE 6.1
Die frühen Auslandsschuldenkrisen: Europa, 1300–1799
Land
Jahre, in denen sich Auslandsschuldenkrisen ereigneten
Zahl der Auslandsschuldenkrisen
Deutschland (Preußen)
1683
1
England
1340, 1472, 1594*
2*
Frankreich
1558, 1624, 1648, 1661, 1701, 1715, 1770, 1788
8
Österreich
1796
1
Portugal
1560
1
Spanien
1557, 1575, 1596, 1607, 1627, 1647
6
Quellen : Reinhart, Rogoff und Savastano (2003a) und hierin zitierte Quellen; MacDonald (2006).
Anmerkung: Der Stern (*) bezeichnet unsere Ungewissheit zu diesem Zeitpunkt über die Frage, ob sich Englands Zahlungsausfall auf seine Inlands- oder Auslandsschulden bezog.
Spaniens Zahlungsausfälle stellten einen Rekord auf, der bis heute ungebrochen ist. Tatsächlich gelang es Spanien allein im 19. Jahrhundert, sieben Mal in eine Auslandsschuldenkrise zu geraten, nachdem es in den vorhergehenden drei Jahrhunderten sechs Mal in Zahlungsverzug geraten war.
Mit seiner Serie an Zahlungsausfällen im 19. Jahrhundert löste Spanien Frankreich, das seinen Schuldendienst zwischen 1500 und 1800 acht Mal nicht erfüllt hatte, als Spitzenreiter unter den säumigen Schuldnern ab. Da die französischen Monarchen die Gewohnheit hatten, wichtige inländische Gläubiger hinzurichten (eine frühe und entschlossene Form der »Schuldenrestrukturierung«), um
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