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DIESES MAL IST ALLES ANDERS

DIESES MAL IST ALLES ANDERS

Titel: DIESES MAL IST ALLES ANDERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CARMEN M. REINHART , KENNETH S. ROGOFF
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ihre Schulden nicht zurückzahlen zu müssen, wurden diese Episoden im Volksmund »Aderlass« genannt. 1 Der französische Finanzminister Abbé Terray, der dieses Amt von 1768 bis 1774 bekleidete, vertrat sogar die Auffassung, Regierungen sollten mindestens ein Mal alle hundert Jahre ihre Schulden nicht bezahlen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. 2
    Bemerkenswerterweise gelang es Frankreich trotz des Traumas, welches das Land durch die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege erlitt, sich von dem Status eines wiederholt säumigen Schuldners zu befreien. Weder im 19. noch im 20. Jahrhundert geriet Frankreich in eine Schuldenkrise, noch (zumindest bisher) im 21. Jahrhundert. Daher kann man Frankreich als eines der ersten Länder betrachten, die aus der Riege der wiederholt säumigen souveränen Schuldner »aufgestiegen« sind – ein Thema, auf das Infobox 6.1 ausführlicher eingeht. Österreich und Portugal hatten in der Zeit bis 1800 nur jeweils einen Zahlungsausfall zu verzeichnen, doch wie wir sehen werden, gerieten beide Länder im 19. Jahrhundert mehrmals in eine Auslandsschuldenkrise.
 
    Infobox 6.1 Frankreichs Aufstieg in die Riege der zuverlässigen Schuldner nach acht Zahlungsausfällen auf Auslandsschulden, 1558–1788
    Vor 1500 waren die französischen Finanzen völlig instabil, was sich zum Teil auf die regelmäßigen spektakulären Währungsabwertungen zurückführen lässt. Allein im Jahr 1303 verringerte Frankreich den Silbergehalt seiner Münzen um mehr als 50 Prozent. Gelegentlich überstiegen Frankreichs Einnahmen aus der Währungsmanipulation sämtliche Einnahmen aus anderen Quellen. 3
    Mit Franz I. begann die französische Monarchie im Jahr 1522 Schulden anzuhäufen. Aufgrund der äußerst undurchsichtigen Finanzbuchhaltung und der anhaltenden Abhängigkeit von kurzfristigen Finanzen wurde Frankreich schließlich hoch krisenanfällig, als Philipp II. von Spanien mit seiner 1557 getroffenen Entscheidung, seine Auslandsschulden nicht zurückzuzahlen, die Finanzmärkte in Aufruhr versetzte. So wie in den heutigen Finanzmärkten, in denen der Zahlungsausfall eines Landes ansteckend auf andere Länder wirkt, fand sich der französische König Heinrich II. bald in der Situation wieder, dass er seine kurzfristigen Schulden nicht mehr prolongieren konnte. Heinrichs Bemühungen, seinen Gläubigern zu versichern, dass er nicht die Absicht habe, Philipps Beispiel zu folgen, trugen eine Zeit lang Früchte, doch im Jahr 1558 geriet auch Frankreich in die Zahlungsunfähigkeit. Der Börsenkrach von 1557 bis 1560 war ein Ereignis von internationaler Reichweite, das in vielen Teilen Europas zu spüren war. 4
    Frankreichs unmittelbares Problem im Jahr 1558 mag der spanische Zahlungsausfall gewesen sein, aber sein tieferes Problem war das Versäumnis, für ein transparenteres Finanzsystem zu sorgen. Zum Beispiel verkaufte Franz I. systematisch Staatsbehörden und vergab damit im Austausch für unmittelbare Einkünfte die Aussicht auf zukünftige Steuereinnahmen. Überall grassierte die Korruption. Als Folge des Kontrollverlusts über die Steuereinnahmen wurde Frankreich ständig Opfer von Zahlungsausfällen, darunter zahlreiche kleinere – neben den acht großen Zahlungsausfällen, die in Tabelle 6.1 aufgeführt sind.
    Die Spanischen Erbfolgekriege (1701–1714) führten zu einer Schuldenexplosion, die insbesondere Frankreich schwer trafen, da die Zentralregierung keine Möglichkeiten hatte, die Steuereinnahmen zu erhöhen. Diese massiven Kriegsschulden führten zu einigen der am besten untersuchten und gefeierten Börsenschwindel der Geschichte, darunter die Mississippi- und die Südsee-Blase, denen Charles Kindleberger in seinem Klassiker über Blasen, Manien und Paniken ein Denkmal gesetzt hat. 5
    Die letzten französischen Zahlungsausfälle im 18. Jahrhundert ereigneten sich in den Jahren 1770 und 1788. 6 Ersterer folgte dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763), in den das finanziell weiter entwickelte England hohe Summen investierte, welche die Kapazitäten des finanziell unterentwickelten Frankreichs weit überstiegen.
    Technisch betrachtet war 1788 das Jahr des letzten französischen Zahlungsausfalls, auch wenn – wie wir sehen werden – das postrevolutionäre Frankreich eine Hyperinflation ungeheuren Ausmaßes erlebte, die effektiv zur Eliminierung aller Schulden – private wie öffentliche – führte. Was an dem weiteren Verlauf der französischen Geschichte jedoch bemerkenswert

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