Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
Vom Netzwerk:
Lucile-Grahn-Straße. Sie hatte von Alice gelernt, dass man auch am Sabbat oder an Rosh Hashanah Auto fuhr, sich aber nicht erwischen ließ. Alice arbeitete auch notfalls am Sabbat, allerdings nicht an Rosh Hashanah, an Jom Kippur oder an Purim, dem Losfest. Als Sharon Alice am Gehsteig stehen und winken sah, dachte Sharon,dass Alice so schön sei wie die Königin Esther. Hatte sie auch so viele Feinde? Jedenfalls war auch vor dieser Synagoge, die äußerlich einer alten Villa glich, ein schweres Eisengitter, standen Polizeiautos. Sharon sah die Beamten an, sie starrten neugierig auf Sharon und Alice.
    Alice trug ein schwarzes Kostüm, eine Jacke zum knappen Minirock, die an den Schultern breite, schwarzweiße Bahnen hatte. Alices Haar glänzte in der Sonne wie mattes Gold.
    Im Garten der Synagoge standen zwei junge blonde Mädchen, offenbar Zwillinge, sie mochten vielleicht neunzehn Jahre alt sein, beide trugen die bauschigen Minis in einem schwarzweißen Tupfenstoff, eine Haarschleife aus demselben Stoff ließ sie noch auffälliger aussehen. Sie unterhielten sich mit einem kleinen Mädchen, das tiefschwarzes Haar hatte und ganz in Pink gekleidet war. Sharon hatte wieder das Gefühl, einer Royal Performance beizuwohnen.
    Als sie mit Alice zur Frauenempore hinaufstieg, begrüßte sie Alices Vater am Fuß der Treppe. Er war mit Gebetsmantel und Jarmulka bekleidet, Sharon sah ihn später bei der Thora-Vorlesung die Thora-Rolle tragen. Alices Mutter begrüßte ihre Tochter und Sharon auf der Empore. Sie war eine zierliche blonde Dame mit sanften, hübschen Augen, sie wirkte vornehm und zurückhaltend, aber herzlicher als Alice. Sharon konnte sich kaum vorstellen, was Alice ihr über die Eltern erzählt hatte. Die beiden waren sich in einem russischen Konzentrationslager zum ersten Mal begegnet, beide hatten kahl geschorene Köpfe, beide waren ausgemergelt und krank gewesen. Umso endgültiger verliebten sie sich ineinander. Sie könnennicht eine Minute ohneeinander sein, sagte Alice. Ich denke manchmal, dass ich mit meinen Lieben nicht zurechtkomme, weil ich alles an meinen Eltern messe.
    Und ich an Alexander, dachte Sharon. Obwohl einige der jungen Juden Sharons Blick festzuhalten suchten, obwohl hübsche Männer darunter waren, dachte Sharon, dass sie froh sein würde, mit Alexander in zwei Welten zu leben, denn dann, glaubte Sharon, würde man an keine für immer angeschmiedet.
    Die Männer hatten mit den Gebeten begonnen. Unser Vater, unser König, erhöre unsere Stimme, schone und erbarme dich über uns.
    Auch hier liefen die Kinder herum, Kinder, die wie teure Puppen gekleidet waren, die sich genauso wie israelische Kinder nichts daraus machten, wenn die Erwachsenen sie ermahnten, was die auch nur mit halbem Ernst taten, denn der Stolz, das Entzücken über die Kinder überwog bei weitem die Strenge.
    Als jedoch das Schofarhorn geblasen wurde, standen alle gebannt still. Nur das mächtige Klagen des Widderhorns war zu hören, drohend fast, mit sanftem, eindringlichem Nachklang. Sharon dachte an das Opfer Isaaks, eine Geschichte, die ihr die Großmutter immer wieder aus der Bibel vorlesen musste, die Geschichte von der Versuchung Abrahams durch Gott, der ihm befahl, seinen Sohn Isaak umzubringen: Und Gott sprach, nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morisa und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir noch sagen werde   ...
    Sharon wusste, dass Abraham statt seines Sohnes schließlich einen Widder geopfert hatte.
    Die Feier war beendet, viele Frauen umarmten einander,wünschten sich Shana Tova, ein gutes neues Jahr. Außer Alice und ihrer Mutter kamen die beiden blonden Zwillingsschwestern auf Sharon zu, drückten ihr strahlend die Hand, sagten Shana Tova. Daraufhin kamen auch andere Frauen und beglückwünschten Sharon. Doch Sharons Unruhe um Alexander wuchs jetzt, da es fast drei Uhr nachmittags war, mit jeder Minute. Vielleicht war er ja schon gekommen, vielleicht wartete er schon in ihrer Wohnung?
    Obwohl Sharon das nicht für wahrscheinlich hielt, ließ sie das Bild nicht los. Alexanders Alfa vor der Tür, er, Alexander, wartend in ihrem Wohnzimmer, von den Müttern mit Tee und Gebäck versorgt. Fast rannte Sharon zu ihrem Auto, sie rannte, als ob sie sicher wüsste, dass Alexander auf sie wartete, sie rannte bis zur Ampel an der Prinzregentenstraße, wartete mit den anderen in großer Ungeduld auf Grün. Während sie über die Straße lief,

Weitere Kostenlose Bücher